Die Wilden*, behauptete Arthur Schopenhauer, „fressen einander und die Zahmen betrügen einander.” Den Kannibalen tat er mit dieser Behauptung sicher Unrecht, doch im Hinblick auf die vorgeblich Domestizierten wird auch heutzutage mancher Versicherungskaufmann die Behauptung des Philosophen gern bestätigen.
Rund 28 Prozent der Deutschen halten Versicherungs-Betrug für ein Kavaliers-Delikt. Gerade bei kleineren Schäden ist die Erwartung groß, dass Schummeleien nicht angezeigt werden. Was offensichtlich die Hemmungen erheblich abbaut. Die Gesellschaft für Konsumforschung GfK hat 2.000 Haushalte befragt: Vor allem in den Sparten Hausrat und private Haftpflicht sehen viele deutsche Möglichkeiten zum Betrug. 90 Prozent der Betrüger, sagt die Statistik, sind Amateure, die sich nicht trauen, ihre frisierten Forderungen höher als 500 Euro zu schrauben -zwei Drittel der Schummel Schäden liegen sogar unter der 250 Euro-Grenze. Otto Normalbetrüger kennt gemeinhin zwei Arten, aus der Zitrone Versicherung wenigstens ein Tröpfchen Limonade herauszuquetschen:
Er dreht entweder einen Schaden, der dummerweise nicht versichert war, so hin, dass ein Versicherungsfall daraus wird. Oder er bläst einen echten so auf, dass noch ein paar Euro mehr dabei herausspringen. Zum flagranten, von langer Hand geplanten Betrug hat er dagegen selten die Traute – am ehesten noch in der Haftpflichtversicherung, wo bei bestimmten Schäden, zum Beispiel kaputten Brillen, die Betrugsrate sogar ansteigt. Trotzdem ist es für den Sachbearbeiter kein Ding der Unmöglichkeit, Dichtung und Wahrheit auseinander zu halten: Die Fantasie der Trickser bewegt sich meist im Rahmen des Alltäglichen. Der Herr Professor schämt sich gar nicht, seinen betagten und leider auf dem Flughafen gestohlenen Koffer zum superteuren Designerstück aufzuwerten, und die Hausfrau klagt, dass der tattrige Schwiegervater eine Vase zerschmettert hat, die selbstverständlich von Rosenthal war.

Schlimm treiben es landauf, landab auch die Lausebengel: Sie vergreifen sich an Motor- und Fahrrädern oder hantieren derart fahrlässig mit einer vollen Plastikeinkaufstüte, dass Papis 3.000 Euro teurer Computer-Tower umfällt. Neuerdings brennen zudem gehäuft Kerzen 50 bis 60 Euro teure Löcher in Tischtücher: Wenn dem Kunden angeboten wird, dass sich der Außendienst den Schaden mal vor Ort ansieht, hört die Versicherung vom Geschädigten daraufhin nie wieder etwas.
Insgesamt kommt der Hang zur Umweg Finanzierung die Assekuranz teuer zu stehen. In Deutschland gehen ihr dadurch mindestens drei Milliarden Euro im Jahr verloren, wie der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) feststellte. Allerdings, so der GDV: „Die, die meinen, wenn sie zwei Euro einzahlen, müssen sie drei Euro rauskriegen, sind nicht das Volk. Und – am Horizont leuchtet ein Silberstreif: Laut einer Allensbach Studie von 2018 hat die „Neigung von Privatpersonen” zum Versicherungsbetrug abgenommen. Bekannten sich 2007 nur 31 Prozent der unter 30-jährigen zu treu und Redlichkeit, waren es 2020 schon 50 Prozent. Ob die Zahmen doch nicht so verwildert sind?