Stresemanns Ganz normal
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Die 70er-Jahre – Als die Autobahn leer war, ein Nobelpreis verliehen wurde und Deutschland im Terror versank.

Was soll eigentlich an den siebziger Jahren so toll gewesen sein? In Deutschland war es die Dekade des RAF-Terrors, auf dem Oktoberfest explodierte eine Bombe, und bei den Olympischen Spielen in München kam es zu einer blutigen Geiselnahme. In Südostasien tobte der Vietnamkrieg, die Roten Khmer begannen in Kambodscha ihr Schreckensregime, und in Chile putschte sich Pinochet an die Macht. Im Osten Europas herrschten Parteidiktaturen, in Spanien regierte Franco. Es war ein unglaublich blutiges Jahrzehnt, so viel steht fest.

Wirtschaftlich gesehen geht es den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland zunächst gar nicht schlecht. Unter der sozial-liberalen Koalition etabliert sich eine Wohlstandsgesellschaft. Lohnanstiege im zweistelligen Bereich sind keine Seltenheit, und manche leben sogar über ihre Verhältnisse. Bis zum Zeitpunkt der ersten Rezession im Herbst 1973 herrscht Vollbeschäftigung. Doch die goldenen Zeiten gehen bald zu Ende.

Die 70er brachten mehr Geld, aber auch höhere Preise

Es entsteht eine neue Arbeitslosigkeit. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies einen Anstieg von 100 000 Arbeitslosen 1970 über 300 000 im Jahr 1973 bis auf 1,1 Millionen im Jahr 1975. Haben die Menschen auch mehr Geld in der Tasche, kommt es auf der anderen Seite zu Verteuerungen in den Lebenshaltungskosten, besonders für Grundnahrungsmittel wie Brot und Butter.

Der umstrittene “Radikalenerlass” vom 28. Januar 1972 wiederum, der mit einer millionenfachen Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst (“Regelanfrage”) verbunden war, führte zu Ängsten bei politisch engagierten Jugendlichen und zur Kritik an “Berufsverboten”, die gerade von der sozialliberalen Koalition nahestehenden Medien geübt wurde.

Neuregelung des “Radikalenerlasses” in 1976 – Beitrag WDR-Zeitzeichen

Eine neue Ostpolitik und ein historischer Kniefall

Gleich zu Beginn des Jahrzehnts wird eine historische Geste weltweit beachtet: Bundeskanzler Willy Brandt sinkt bei seinem Besuch in Warschau auf die Knie. Ein Raunen geht durch die anwesende Menschenmenge am Denkmal für die Helden des Ghetto-Aufstands in Warschau als es, für alle überraschend, passiert. Ein Fotomotiv, was zu den bekanntesten der Nachkriegsgeschichte zählt.

Innenpolitisch steht der Anfang des neuen Jahrzehnts im Zeichen des Beginns einer Entspannungs- und Friedenspolitik zwischen der BRD und der DDR. Deutscher Wahlrekord – 91,1 Prozent der Bundesbürger zieht es im November 1972 an die Urnen. Ihr Votum ist unmissverständlich: Die sozialliberale Koalition erhält 17 zusätzliche Mandate.

Video: Franz-Josef Strauß “zerlegt” einen Journalisten im Interview 1972 – © WDR

Damit signalisieren die Wähler vor allem Zustimmung zu den Verträgen mit Polen und der Sowjetunion. Den Auftakt der neuen Ostpolitik honorieren die Wähler der SPD mit einem für die Sozialdemokraten bis heute unerreichten Stimmenanteil von 45,8 Prozent (CDU/CSU 44,9; FDP 8,4). Schützenhilfe erhält die Brandt-Partei überdies im Wahlkampf von Linksintellektuellen wie Günter Grass.

Es wurde überall verhandelt

Deutschland war von vornherein eng in die Entspannungspolitik zwischen Ost und West einbezogen. Die Neue Ostpolitik Willy Brandts nach 1969 fügte sich dabei nicht nur nahtlos in den internationalen Prozess ein, sondern bildete auch selbst einen dynamischen Faktor, der die Entspannung vorantrieb. Sie umfasste folgende Schwerpunkte:

Das wurde verhandelt:

(1) Im Verhältnis zur Sowjetunion ging es um die Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa durch die Bundesrepublik und um die Sicherung des Status von Berlin und seiner Zufahrtswege.

(2) Im Verhältnis zu Polen standen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze, die Abgeltung polnischer Rentenansprüche, Kredite für die polnische Wirtschaft sowie die Ausreiseerlaubnis für deutschstämmige Polen zur Debatte.

(3) Im Verhältnis zur DDR waren die Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR sowie praktische Fragen, die sich aus der Nachbarschaft der beiden Länder und den noch bestehenden familiären und persönlichen Bindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands ergaben, zu regeln.

(4) Im Verhältnis zur Tschechoslowakei galt es, die Frage der Gültigkeit des Münchener Abkommens vom 29. September 1938 sowie humanitäre Angelegenheiten und Fragen der Strafverfolgung und Rechtshilfe zu klären.

Die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition wurde sehr bald zum wichtigsten politischen Streitthema. Die von Beginn an knappe Mehrheit der Regierungskoalition war nicht mehr gewährleistet, nachdem vier Abgeordnete der Regierungsfraktionen (1970 und 1972) zur CDU/CSU gewechselt waren. In dieser Situation entschloss sich Rainer Barzel, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, die Regierung mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zu stürzen. Die Ratifizierung der Verträge von Warschau und Moskau, über die seit dem 23. Februar 1972 im Plenum des Deutschen Bundestages debattiert wurde, sollte durch die Bildung einer von ihm geführten Regierung verhindert werden. Angesichts der parlamentarischen Konstellation war es überraschend, dass die Mehrheit für das konstruktive Misstrauensvotum am 27. April verfehlt wurde. Das Scheitern des Misstrauensvotums stürzte die CDU in eine tiefe Krise. In der Öffentlichkeit gab es einige Schadenfreude über den missglückten Coup gegen einen Kanzler, der – nicht zuletzt aufgrund seiner Biographie – weltweites Ansehen genoss und wenige Monate zuvor, im Oktober 1971, für seine “Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern” den Friedensnobelpreis erhalten hatte.

Ein Stasi-Coup kippt den Kanzler

Das vom Bundestag am 9. November 1973 einmütig verabschiedete Energiesicherungsgesetz sah Möglichkeiten für Beschränkungen des Verbrauchs vor. Auf dieser Grundlage wurde an vier Sonntagen im November und Dezember ein allgemeines Fahrverbot erlassen. Die feiertäglich verödeten Innenstädte, Landstraßen und Autobahnen symbolisierten das Ende des Glaubens an eine fraglos gesicherte Zukunft. Krisenängste hatten, befördert auch durch die sich verschlechternden Wirtschaftsdaten, wieder Konjunktur, und die Sympathiewerte Willy Brandts, im vorherigen Jahr noch umjubelt, sanken 1973 spürbar.

Hinzu kommt der Spionage-Schock des Jahrzehnts: In den Honigmond deutsch-deutscher Verständigung platzt eine Stasi-Bombe. Günter Guillaume, persönlicher Referent des Bundeskanzlers, ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Der Brandt-Intimus entpuppt sich als Spitzenagent des Ministeriums für Staatssicherheit. Seit 1956 spionierte der 47jährige gemeinsam mit seiner Ehefrau Christel für den Ost-Geheimdienst. Systematisch und behutsam hatte die Stasi ihren Agenten in die Nähe des SPD-Vorsitzenden geschleust. 1974 muss Brandt deswegen zurücktreten und Helmut Schmidt wird sein Nachfolger. Noch ein anderer muss im selben Jahr seinen Hut nehmen: Der Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, dem der Watergate-Skandal zum Verhängnis wird.

Und dann kam ein gewisser Helmut Kohl

Die Spionage-Affäre um Ex-Kanzler Brandt vermag das Vertrauen der Bundesbürger in die sozialliberale Koalition nicht vollends zu erschüttern. Zwar erringt die Union mit ihrem neuen Spitzenkandidaten Helmut Kohl, bislang Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, bei den Wahlen am 3. Oktober 1976 48,6 Prozent der Stimmen und 18 zusätzliche Mandate, doch SPD (42,6 Prozent) und FDP (7,9 Prozent) können ihre Regierungskoalition fortsetzen. Helmut Schmidt bleibt Kanzler.

Die Atmosphäre des Wahlkampfs ist von starker Polemik geprägt, weil CDU und CSU versuchen, die Abstimmung als Grundsatzentscheidung über den weiteren Weg der Republik zu deklarieren. Mit ihrer aggressiven Parole „Freiheit statt Sozialismus“ ruft die Union heftige Attacken der SPD hervor. Die deutsche Linke agitiert im Vorfeld besonders gegen ihr Lieblings-Feindbild Franz Josef Strauß (mit „Stoppt Strauß“-Demos und -Plakaten).

Video: Strauß gegen Wehner – Rivalen der Geschichte – © ZDF

Deutschland im Terror

Ein weiteres ernstes Thema in den 70er Jahren waren die Rote Armee Fraktion (RAF) und der Deutsche Herbst. Die Angst vor inländischem Terror erreichte 1977 ihren Höhepunkt, und viele Bürger fühlten sich in der Bundesrepublik nicht mehr sicher.

Die RAF, deren Geburtsstunde 1970 die spektakuläre Befreiung von Andreas Baader aus dem Gefängnis durch Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und anderen war, bedrohte und erschütterte die Bundesrepublik zunehmend in ihren Grundfesten. Die besonders brutale Seite des Terrors zeigten die Attentate auf Hans-Martin-Schleyer, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Jürgen Ponto und den Generalstaatsanwalt Siegfried Buback, die Bombenanschläge der Baader-Meinhoff-Gruppe und die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut nach Mogadischu. Bei der Befreiung bewies sich die in Folge des Olympia-Attentats 1972 gegründete Spezialeinheit GSG9. Sie hatte in Mogadischu ihren spektakulärsten Einsatz. Am 5. September 1977 entführen Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Der Versuch, damit die Freilassung von elf inhaftierten RAF-Tätern zu erpressen, scheitert. Doch binnen sechs Wochen verändert der „Deutsche Herbst“ die Republik.

Am 13. Oktober 1977 entführt ein Palästinenser-Kommando die Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit 86 Passagieren und fünf Crew-Mitgliedern nach Somalia. Auch die Luftpiraten fordern die Freilassung der RAF-Gefangenen. Sie ermorden den „Landshut“-Kapitän. Am 18. Oktober, kurz nach Mitternacht, stürmt ein GSG-9-Trupp die Lufthansa-Maschine in Mogadischu. Drei Entführer werden erschossen. In der gleichen Nacht töten sich die Stammheimer RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Mit drei Schüssen in den Hinterkopf wird Stunden später Schleyer ermordet. Er ist das 20. Todesopfer des linksextremen Terrors in den 70ern. Kommentar der RAF: „Der Kampf hat erst begonnen.“

Naturschutz und Frieden galten als neue Bewegungen

Der Frankfurter Häuserkampf umfasste Protestbewegungen, Kundgebungen und Demonstrationen der Frankfurter Spontiszene in den frühen 1970er Jahren. Die Proteste richteten sich in erster Linie gegen die Grundstücksspekulationen im Frankfurter Westend und die damit verbundene Verdrängung der Wohnbevölkerung (Gentrifizierung).

Der Häuserkampf markiert den Beginn der deutschen Hausbesetzerbewegung und den Anfang vom Ende einer bürgerfernen Stadtplanung. Die Entwicklung partizipativer Planungsmodelle erhielt durch den „Frankfurter Häuserkampf“ entscheidende Impulse. Im betroffenen Stadtteil Westend selbst konnte die Bewegung dagegen nur einen teilweisen Erfolg erzielen: Während viele der abrissbedrohten Gründerzeitvillen gerettet und der Bau weiterer Bürohochhäuser gestoppt werden konnte, setzte sich die Vertreibung der Bewohner durch Büromieter weiter fort.

Es war nicht nur die politische Freiheit, die beansprucht wurde; die Ölkrise schärfte ebenso den Sinn für den Ressourcenschutz. Aus einem zunächst diffusen Ressourcenschutz entwickelte sich noch in den 70er Jahren eine breite Naturschutzbewegung, die gleichzeitig aber auch politisch radikal sein wollte. Es war der Status nascenti einer Bewegung, die einige Jahre später Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre als Partei die lange geltende 3-Parteien-Landschaft der Bundesrepublik Deutschland auflöste. Naturschutz, Friedensbewegung und politische Neuorientierung bewegten sich nun zusammen in einer neuen Organisiertheit, die ihre Wurzeln in der politischen Studentenbewegung der 60er Jahre, dem Ressourcenschutz der 70er Jahre sowie den Ostermärschen im Nachkriegsdeutschland besaß.

In der nächsten Folge:

Als das Auto noch keine Gurte hatte und PacMan zum Abendessen kam.

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In den 70er Jahren begann ein neues Technik-Zeitalter. Computerfirmen, die heute noch die Branche beherrschen, wie beispielsweise Microsoft oder Apple wurden gegründet. Eine Erfindung, die viele Rechenarbeiten erleichterte, war 1971/1972 der Taschenrechner als automatische Rechenmaschine.

Der Verkehr auf Deutschlands Straßen nahm zu und mehr und mehr waren auch Autos anderer europäischer Hersteller auf den Straßen zu sehen. Auf dem ersten Platz der meist verkauften deutschen Autos rangierte bis 1972 der VW-Käfer


Das Jahr 1971

Für seine deutsch-deutsche Politik wird Willy Brandt mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Die Welt rückt enger zusammen, der Ost-West-Konflikt verändert sich, die offene Politik der Sowjetunion zeigt Wirkung.

Was du über 1971 noch wissen solltest:

Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder und 13 weitere Regisseure gründen den Filmverlag der Autoren. Sie wollen Produktion, Rechteverwertung und Vertrieb der eigenen Filme gemeinsam und unabhängig organisieren.

3. MAI 1971

Walter Ulbricht tritt als erster Sekretär des Zentralkomitees der SED zurück. Zu seinem Nachfolger wird Erich Honecker ernannt

3. SEPTEMBER 1971

Die Botschafter der Westmächte und der sowjetische Botschafter in der DDR unterzeichnen das Viermächte-Abkommen über Berlin. Das Abkommen erleichtert unter anderem den zivilen Verkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik. Der Sonderstatus Berlins aber bleibt gewahrt: Der Westteil der Stadt darf auch weiterhin nicht aus Bonn regiert werden.

WDR-Nachrichten, Hörfunk vom 27.06.1979 – Thema: Politik

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