Bereits in den fünfziger Jahren ist die Urlaubsreise für breite Bevölkerungsschichten ein fester Bestandteil im Jahresablauf. In der Bundesrepublik Deutschland übertreffen 1958 erstmals die Devisenausgaben für den Reiseverkehr die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus. Ende der sechziger Jahre bleibt nur noch eine Minderheit im Urlaub zu Hause. “Die Deutschen sind das reiselustigste Volk der Welt,“ meint 1961 die Süddeutsche Zeitung.
Das Wirtschaftswunderland Deutschland bot seinen Bundesbürgern in den 60er Jahren zum ersten Mal die Möglichkeit, sich einen gewissen Luxus zu leisten. Vor allem das Auto stand ganz oben auf der Wunschliste der Deutschen. Und mit der steigenden Mobilität stieg auch der Wunsch auf neue Eindrücke im In- und Ausland. Die Anzahl der Autos, dem Deutschen liebstes Kind, stieg in zehn Jahren auf über 14 Millionen Stück. Autofahren machte noch Spaß, denn wenn wir mit unseren Eltern zur nächsten Apotheke gefahren sind, dann brauchten wir uns nicht anschnallen. Wie auch? Es gab keine Sicherheitsgurte. Airbags waren damals sowieso unvorstellbar.

In der DDR bildete Camping eine Nische für individuelle Urlaubsgestaltung jenseits der geordneten Ferienwelt in Betriebs- und Gewerkschaftsheimen. Auf dem Campingplatz entziehen sich die Urlauber dem staatlich gelenkten Urlaub. Improvisation und Eigeninitiative gegen Betreuung und Kontrolle, Solidarität der Gruppe gegen verordneten Kollektivismus – so zeigt sich “Grenzüberschreitung“ in sozialistischer Umwelt. Der Staat versucht hier, regelnd einzugreifen. Die VEB Zeltplatzvermittlung teilt Campingplätze zu, doch auf dem Platz sind die Camper unter sich. Hier gelten eigene Regeln. FKK, offizielle als “Zerfallserscheinung des Imperialismus“ gebrandmarkt, findet so viele Anhänger, dass Staat und Partei nachgeben müssen.
Technische Neuerungen und verbesserter Komfort machen in West-Deutschland die Bahn zum wichtigsten Reiseverkehrsmittel. Reiseziele liegen vor allem in Bayern. Das oberbayerische Ruhpolding, Tourismuszentrum von Touropa, ist erstes deutsches Massenziel. Naturlandschaft und traditionsverhaftetes Brauchtum sind Ziele kollektiver Sehnsüchte. Heimatfilm und Souvenirgewerbe fördern die Vorstellung von einer “heilen Welt“ jenseits der Ballungszentren, die häufig noch die Spuren des Krieges tragen.

anders reisen
Und plötzlich ging es neben der Nord- und Ostsee auch an die Adria. Vor allem die italienischen Adriastrände wurden zum sprichwörtlichen Teutonengrill. Aber auch ein entzückendes kleines Dorf an der französischen Mittelmeerküste namens St. Tropez zog wie magisch eine Heerschar deutscher Touristen an, wenn auch eher diejenigen mit etwas praller gefülltem Geldbeutel. Vier Jahre später standen in der Liste ihrer Zielländer auch exotische Namen wie Thailand, Kenia oder die Dominikanische Republik. Allerdings war diese Zeit des Fliegens mehr etwas für Reiche. Filmstars, Top-Geschäftsleute und Politiker: Für Menschen, die sich keine Sorgen ums Bezahlen machen mussten. Es war die Zeit, in der man sich für eine Flugreise schick machte – schließlich wusste man nie, wen man an Bord treffen würde, zum Beispiel Stars wie Marilyn Monroe, Audrey Hepburn oder Gregory Peck
Auslandsreisen prägen zunehmend den Alltag daheim: Speisen und Getränke erinnern an den Urlaub im Süden, Filme und Schlager halten die Italien-Sehnsucht wach. Viele Urlauber nehmen ein “Stück“ Italien in Form von Souvenirs mit nach Hause, sie zeigen Freunden und Verwandten ihre Fotoalben oder laden sie zum Dia-Abend ein.
Mitte der sechziger Jahre beginnt das Jet-Zeitalter. Moderne Großraum-Flugzeuge überwinden in kürzester Zeit weite Strecken. Flughäfen werden ausgebaut, Charterfluggesellschaften erleben einen Aufschwung. Auch entferntere Reiseziele sind jetzt erreichbar. An der spanischen Costa del Sol und auf der Mittelmeerinsel Mallorca entstehen Zentren des Massentourismus. Die Welt scheint kleiner zu werden. “Wir sprechen deutsch“, verkünden Hotel- und Gastwirte. Ballermann 6, das Strandlokal an der Playa de Palma, ist Treffpunkt deutscher Urlauber auf Mallorca. Hier bleibt man unter sich, lebt im Schutz der Gruppe. Spanien und seine Bewohner sind für diese Touristen weit weg.
In der nächsten Folge:
Die 60er Jahre waren sowohl in Ost- wie in Westdeutschland eine Zeit des Umbruchs und der Veränderung. Sowohl in der Mode als auch bei den Essgewohnheiten.
