Zwischen Schulranzen und Gummitwist
Aufschwung in der Bundesrepublik. In den 60er-Jahren war der Nachkriegsmangel überwunden. Der Tisch war reich gedeckt. Die Wirtschaft brummte und ebenso der Konsum! Optimismus war angesagt. Aber es herrschte noch kein Überfluss.
Das prägte auch meine Kindheit, die vielfach unbeschwert verlief. Schließlich ging es uns jedes Jahr ein bisschen besser. Für uns Kinder gab es kaum Fernsehprogramm, keine Computer, dafür viel freie Zeit im Freien, die mit Fantasie gestaltet wurde. Denn Geld für teure Spielzeuge hatten die Wenigsten.

Wie selbstverständlich spielte ich damals draußen. Wir wohnten in einer Neubausiedlung und zwischen den zwölf Häusern mit jeweils zehn Wohnungen gab es viel Platz zum Spielen. Grenzenlos erschien mir die Welt “draußen”, die ich wahlweise als Indianer, Trapper, Wüstenkrieger (an besonders heißen Tagen) oder Pirat durchstreifte. Grenzen setzte allenfalls das “Mittagessen-“und die “Zuhause-sein-müssen-Zeit”, die ich mangels einer Uhr oft vergaß, was mir häufig lange Strafpredigten einbrachte.

Wenn mir langweilig war, dann klingelte ich in den Nachbarhäusern unserer Wohnsiedlung bei anderen Jungen. Ganz egal, ob mit oder ohne Terminvereinbarung und meine Eltern musste ich schon gar nicht darüber informieren. Wenn es sich nicht vermeiden liess, spielte ich auch mit Mädchen, fand das aber ziemlich blöd, weil ich beim Gummitwist immer derjenige war, der – zusammen mit einem anderen Jungen – das Gummiband um die Füße gespannt bekam. Rosemarie und Doris hüpften dann nach genau festgelegten Regeln, auf oder zwischen dem Gummiband. Vorher kündigten sie ihre Sprungvarianten an: Mitte, Grätsche, Auf und Raus. Danach wetteiferten wir mit den Mädchen bei der “Hängematte“ an den Stangen, an denen sonst die Wäsche zum Trocknen aufgehängt wurde.
Immer öfter mussten wir beim Seilspringen, Federball oder Murmelspielen vorbeifahrenden Autos Platz machen. Dampfwalzen und Teermaschinen asphaltierten auch die Seitenstraßen. Bürgersteige wurden befestigt. Die Pfützen, in denen wir mit Gummistiefeln herum stampften und Papierschiffchen auf große Fahrt schickten, verschwanden.

Jeden Freitag stand ich vor dem Schreibwarenladen des Herrn Hoppe und schaute nach, ob es schon die neue „Fix & Foxi“ gab. Danach verhandelte ich mit Oma, weil mein Taschengeld nie zum Erwerb reichte. Die Mickey Maus gab es auch schon, aber hatte mich nie so richtig interessiert. Lupos Abenteuer fand ich wesentlich spannender.

Ostern 1963 kam ich in die Schule. Meine Schultüte enthielt allerdings wenig Süßigkeiten. Außer Gummibärchen gab es Buntstifte und ein Etui. Für ein Heidengeld wurde mir ein Füllfederhalter von Geha gekauft. Die Schule ging von Montag bis Samstag und meist bis mittags um 13 Uhr. Nachmittags hatte ich dann in der Küche meine Hausaufgaben zu machen, wenn nicht, gab es am nächsten Tag in der Schule Strafaufgaben oder Nachsitzen.
Es gab feste braune Lederschulranzen und in jedem waren die Schulsachen –Bücher, Hefte, Etui – und das Pausenbrot. Letzteres bestand aus Äpfeln und Mohrrüben. Der Lederranzen hatte allerdings von Schuljahr zu Schuljahr ein größeres Gewicht.

Einmal im Jahr ging es auf Wandertage und faszinierende Schullandheimaufenthalte, wo ich mit 50 anderen Kindern zum Zähneputzen antreten musste. Um 1967 gab es zwei Kurzschuljahre, die insgesamt 16 Monate dauerten. Die Folge war, dass der Beginn der Schuljahre damit von Ostern auf den Sommer verlegt wurde. Mich machte es stolz, weil ich dadurch meine verspätete Einschulung wieder aufgeholt hatte.

Die Umstellung führte damals auch dazu, dass im Jahre 1966 zwei Jahrgänge ihr Abitur machten, die ersten im Frühling und die zweiten im Herbst. Das eingesparte Schuljahr wurde durch das neu eingeführte 9. Pflichtschuljahr gleich wieder einkassiert. Aus der Volksschule wurde die Grundschule für die Kleinen (1. bis 4. Klasse) und die Hauptschule für die Großen (5. bis 9. Klasse). Aus der Mittelschule wurde die Realschule. Aus der Naturlehre wurde Physik und aus der Naturkunde Biologie.
In diesem Fach hatte ich dann Ende der 60er-Jahre Sexualkunde-Unterricht. Ich wurde “aufgeklärt”, in dem unsere Lehrerin Frau Tietze mir Sachen erzählte, die ich schon wusste, aber noch nicht wissen durfte. Im Schulbuch wurde das auf eine derart technisch-abstrakte Weise dargestellt, dass die, hätten sie es nicht schon gewusst, nach der “Aufklärung” auch nicht viel schlauer gewesen wären, als zu der Zeit, wo sie das, was sie noch nicht wissen durften, noch nicht wussten.
In den nicht-naturwissenschaftlichen und den nicht-fremdsprachlichen Fächern, also insbesondere Deutsch und Politische Bildung, trat als Lehrmittel die Diskussion immer stärker in den Mittelpunkt. Diskutiert wurde um des Diskutierens Willen. Der Inhalt war nicht von Bedeutung, ein Ergebnis oder halbwegs greifbarer Konsens nicht zu erkennen (Viele heutige Politiker müssen damals zur Schule gegangen sein).
Plötzlich war antiautoritäre Erziehung angesagt. Wir Kinder sollten bloß nicht in unserer freien Entwicklung behindert werden. In den großen Städten kamen Kinderläden in Mode. Wo die Kleinen unbehelligt von den Erwachsenen Randale machen konnten. Ein radikales Konzept, das in den folgenden Jahrzehnten allerdings teilweise revidiert wurde.
In der nächsten Folge:
Von der „Mono“-tonie in das „Stereo“-Jahrzehnt: Erinnerst Du dich noch an die Anfänge der Schallplatte und der Cassette? Damals wurde unter dem Begriff „Single“ etwas anderes verstanden als eine alleinlebende Person.

Danke für diesen Eintrag. Hach… die Füller, die Mainzelmännchen und noch ein paar andere Dinge. Die gab es noch, als ich 70 in die Schule kam.