Und dann Schimanski! Scheiße, ist das gut

Alle »Tatort«-Fälle ab Folge 1 angucken – wer macht denn so was? Ich. Es ist eine Zeitreise in die Geschichte der Bundesrepublik, oft unterhaltsam, manchmal auch ermüdend. Und zehnmal überragend.
Jetzt bin ich bei Nummer 729. »Häuserkampf«, Erstausstrahlung 13. April 2009, mit dem lässigen Cenk Batu, der in einer Wohnschachtel in der Hamburger Mundsburg haust und in den Diensten der Gerechtigkeit seine Identitäten wechselt. Einer der Guten, ich kann das beurteilen.
Als Trimmel noch nach Leipzig fuhr
Schließlich habe ich schon in 728 »Tatort«-Fällen beim Ermitteln zugeschaut, Folge für Folge, ab Fall 1. Der alte Kommissar Trimmel war meine erste Bekanntschaft, dieser barsche Patriarch mit seinem ewigen Zigarrenstummel, den er nur aus dem Mund nimmt, um sich einen Whiskey zu gönnen. Die Flasche steht im Büroschrank. 1970 wurde im Dienst noch ordentlich gesoffen.

Den »Tatort« gibt es seit einem halben Jahrhundert, seit Trimmels »Taxi nach Leipzig«, ich bin schon bei Folge 730 »Oben und unten« mit den Berliner Kommissaren Ritter und Stark. Da muss ich durch, Berlin war über viele Jahre so etwas wie die Seuchenstadt des »Tatort«, wenn man das in diesen Zeiten noch so formulieren darf. Vieles funktioniert hier in Berlin ja nicht so gut, der »Tatort« gehörte lange dazu.

Heinz Drache als freundlichen Gute-Nacht-Onkel Bülow habe ich überstanden, sogar das Ermittler-Duo aus der Hölle, Roiter und Zorowski, das wohl schlechteste Kommissarpärchen in der langen Geschichte mit Wackelbildern und hanebüchenen Storys. So schlecht, dass es fast schon wieder Spaß macht. Fast.

Ich gucke seit gut vier Jahren systematisch, wie so ein guter deutscher Polizeibeamter. Nach Folge 1 kommt Folge 2, nach 178 »Einer sah den Mörder« kommt 179 »Leiche im Keller«. Internet und Mediatheken halten heute nahezu jede Folge bereit, manchmal muss man ein bisschen suchen, oder Freunde schieben mir per Digitalpost »Tatort«-Folgen zu, die sie mal auf ihren Festplatten abgespeichert haben.
Ich nehme und gucke alles, selbst die Fälle des drögen Kommissars Bienzle, auch Max Palu, sogar die albernen Münster-»Tatorte«, die der ARD regelmäßig Quotenrekorde einfahren. Warum das so ist, hat sich mir auch durch Intensivrecherche nicht erschlossen. Es ist eher noch rätselhafter geworden.

Mal knistert’s, mal döst man
Anfangs wollte ich dem Phänomen auf die Spur kommen. Der »Tatort«, letzte bundesdeutsche Fernsehinstitution aus der Zeit, als die Familie noch vor »3 x 9« mit Wim Thoelke vor dem Bildschirm saß, vor Vivi Bach und Dietmar Schönherr, Rainer Holbe und Ilja Richter. Ist der »Tatort« tatsächlich ein Spiegel der Geschichte der Bundesrepublik, wie er stets verkauft wird? Welche Gesellschaft soll das abbilden? Wer das rausfinden will, muss es gucken.

So begann es. Bald wurde der Dauer- zum Selbstläufer, nun sind der grantelnde Wirtz aus Wien, der langweilige Brinkmann aus Frankfurt und der Frikadellen-Gourmet Haferkamp aus Essen Stammgäste im Wohnzimmer. Jeder hat seine Macken.

Autor des obigen Textes:
Peter Ahrens
Geboren 1966 in Paderborn, studierte Geschichte, Germanistik und Sportwissenschaft. Von 1994 bis 1999 als Volontär und Redakteur bei der “Ostfriesen-Zeitung”, danach fünf Jahre lang Redakteur für Landespolitik bei der “taz” in Hamburg. Ab 2004 freier Autor für Politik und Sport in Berlin, seit Dezember 2009 Sportredakteur bei SPIEGEL ONLINE.
Und hier sind sie, die besten “Tatort”-Folgen

Wie ihr oben schon lesen konntet, gibt es bereits mehr als 1.000 Folgen. Da fiel uns die Auswahl sehr schwer. Hier unser Ergebnis:

10. Tatort Duisburg (1987):
No Future
»Tatort«-Denkmäler Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik) 1987: “No Future”. Die Schauspieler Eberhard Feik (l) als Thanner und Götz George als Schimanski stehen am 29.09.1987 im Hafen von Duisburg für Dreharbeiten vor der Kamera. Foto: Horst Ossinger/dpa

9. Tatort Hamburg (1970):
Taxi nach Leipzig
Ein Zigarrenstumpen im Mund, gern auch ein Glas Whiskey auf dem Schreibtisch – Kommissar Trimmel war der allererste »Tatort”-Ermittler. Der knorrige Kommissar musste beim »Taxi nach Leipzig« (1970) in der DDR nach dem Täter suchen. Regie: Peter Schulze Rohr, Darsteller: Hans Peter Hallwachs (links), Walter Richter Copyright: Roba/UnitedxArchivesx/xSchweigmann UnitedArchives24922

8. Tatort Münster (2011):
Zwischen den Ohren
Vom altväterlichen Kommissar Trimmel zum Klamauk-Pärchen Börne und Thiel war es ein langer Weg. Die Münster-»Tatorte« mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers und Christine Urspruch zählen immer noch zu den Quotenbringern der Serie. Hier ist das Team 2011 in der Folge »Zwischen den Ohren« zu sehen. Hat Prof. Boerne diesen Fuß mit einer äußerst seltenen Fehlbildung nicht schon einmal gesehen? Silke Haller alias “Alberich” und Frank Thiel (M) sind skeptisch. © WDR/Thomas Kost

7. Tatort Köln (2018):
Bausünden
Die berühmteste Currywurstbude der Fernsehrepublik: Bei Pommes rot-weiß haben Max Ballauf und Freddy Schenk vom Kölner »Tatort« so manchen Fall gelöst. Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär gehören mittlerweile schon zu den Oldies der Serie, hier in der Folge »Bausünden« (2018). Autoren: Uwe Erichsen und Wolfgang Wysocki, Regie: Kaspar Heidelbach, © WDR/Martin Valentin Menke (S2+).

6. Tatort bundesweit (1971):
Kressin stoppt den Nordexpress
Ein Oldie – das wollte er bestimmt nie werden. Der WDR-Zollfahnder Kressin war schließlich so etwas wie ein deutscher James Bond, knackig, jung und immer ein Auge auf die Frauen. Sieghard Rupp prägte den Ermittler im Sinne der Siebzigerjahre. Das Foto zeigt den Zollfahnder in der Folge »Kressin stoppt den Nordexpress« von 1971.

5. Tatort Ludwigshafen (1991):
Tod im Häcksler
Ihr erster »Tatort« hieß »Die Neue«, mittlerweile ist sie längst »Die Älteste«. Ulrike Folkerts alias Kommissarin Lena Odenthal ermittelt unverdrossen für die Kripo Ludwigshafen seit den Achtzigerjahren. Einer ihrer ersten Fälle war auch der mit dem größten Aufsehen: »Tod im Häcksler« (1991, Foto) mit Ben Becker rief sogar die Politik auf den Plan, weil man die Pfalz als Region geschmäht sah. Stichwort: Pfälzisch Sibirien. Bild: SWR/Johannes Hollmann

4. Tatort Mainz (1979):
Der Mann auf dem Hochsitz
Es dauerte Jahre, bis der »Tatort« weiblich wurde. Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller übernahm die Pionierrolle als erste Ermittlerin (Foto von 1997).
Foto Copyright: kpa United Archives 55030608

3. Tatort Kiel (1977):
Reifezeugnis
Der Klassiker der Serie ist mittlerweile auch schon 45 Jahre alt: »Reifezeugnis« mit Nastassja Kinski und dem unvergleichlichen Klaus Schwarzkopf als Kommissar Finke war auch der Anfang der internationalen Karriere von Regisseur Wolfgang Petersen. Foto: Vereinigte Archive / imago images

2. Tatort Essen (1978):
Der Feinkosthändler
Der Frikadellenkönig des Tatorts: Kommissar Haferkamp war der Inbegriff des korrekten Beamten. Und das als WDR-Vorgänger von Schimanski. Die Fälle von Hansjörg Felmy (Mitte) als Ermittler sind ebenfalls längst deutsche TV-Geschichte – hier 1978 in »Der Feinkosthändler« mit Willy Semmelrogge (links) und Walter Kohut (rechts). Foto: Vereinigte Archive / kpa / imago images

1. Tatort München (1992):
Alles Palermo
Sie stehen für Niveau, beste Unterhaltung. Die Dauerbrenner aus München, Ivo Batic und Franz Leitmayr, gespielt von Miro Nemec (links) und Udo Wachtveitl, sorgten im Lauf ihrer mittlerweile 30 Ermittlerjahre für so manchen »Tatort«-Höhepunkt – und wurden selbst darüber grau. Ruth Drexel spielte 1992 in »Alles Palermo« mit. Foto: Filmstill // HANDOUT
In der nächsten Folge:
Nicht nur in Deutschland entstand so manches Bauwerk, bei dem sich der Betrachter fragt: “Was stimmt hier eigentlich nicht?” Aber schaut selbst: In der nächsten Folge heißt es nämlich: “Die besten … Baufehler!”
