Was in Deutschland erst Mitte der 60er-Jahre aufkam, gab es in Großbritannien nachweislich bereits seit 1925: Hunderte von Krankenhausradiosendern. Fast alle waren Mitglieder der Hospital Broadcasting Association (HBA), die von Sendern zum gegenseitigen Nutzen gegründet wurde und diese nicht regiert oder betreibt. Alle diese Krankenhausradiosender wurden von Freiwilligen besetzt und verwaltet.

Hosptal-Radio Ipswich 1971
Der erste britische Krankenhausfunk wird bald 100 Jahre alt
Die erste Krankenhaus-Radiostation im Vereinigten Königreich wurde 1925 im York County Hospital in England installiert. Neben 200 Betten wurden Kopfhörer bereitgestellt und 70 Lautsprecher installiert, sodass die Patienten Sportkommentare und Gottesdienste anhören konnten. In den dreißiger Jahren begannen Radiosender in einer Handvoll anderer Krankenhäuser zu arbeiten, wobei Live-Musik die sprachbasierten Programme ergänzte.


In den 1950er Jahren nahm die Zahl von Krankenhaussendern in Großbritannien rapide zu, und ähnliche Stationen wurden in Japan, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten eröffnet. Viele Sender spielten den Patienten Grammophonmusik vor, und mit der Einführung der Kassette im Jahr 1963 wurde es für Moderatoren einfach, ihre Programme für die spätere Wiedergabe aufzunehmen.
Die Zahl der Krankenhausradiosender erreichte in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt, als vermutlich täglich bis zu 300 Sender ausgestrahlt wurden. Da jedoch kleine Krankenhäuser geschlossen oder zu großen regionalen medizinischen Zentren zusammengelegt wurden, konsolidierten sich auch Krankenhausradiosender zu einer kleineren Anzahl größerer Organisationen. Neue Studios wurden gebaut, oft nach hohen Spezifikationen, und gemeinsam mit kommerziellem Radio begannen Krankenhausstationen, CDs zum Abspielen von Musik zu verwenden. Heute gibt es mehr als 230 Krankenhausradiosender in Großbritannien und 170 in den Niederlanden
Ende der 60er-Jahre entstanden erste Krankenhaussender auch in Deutschland
Die ersten Krankenhausradios in Deutschland wurden in den 1960er-Jahren parallel und unvernetzt gegründet. Auslöser waren in den meisten Fällen Tonband-Amateure, die ihr Hobby einer sozialen Sache zur Verfügung stellten. Teilweise initiierten auch Krankenhaus-Mitarbeiter und Seelsorger die Stationsgründung, da das Mittel Radio zur Unterhaltung und Versorgung mit Informationen der Patienten in einem Krankenhaus erkannt wurde.
WDR-Landesspiegel – Privatradio “Krankenhausfunk”
Die Programme waren in der Regel sehr unterschiedlich und abhängig vom Träger. Grundsätzlich fand ein lockerer Moderationsstil Anwendung, der sich deutlich von den übrigen Radiosendern absetzte. Moderatoren konnten bei einem Kliniksender ihre eigenen Programme zusammenstellen. Das erklärt auch den zunehmenden Enthusiasmus der Mitarbeiter, die in diesem Medium mit der Musikauswahl noch etwas bewegen konnten.

Diese persönliche Freiheit bescherte dem Krankenhausfunk auch die notwendige Frische im Programm, die eine klare Unterscheidung zu kommerziellen Sendern ermöglichte. Formatradio fand an dieser Stelle kaum Anwendung, da die meisten Mitarbeiter ehrenamtlich und mit einem eigenen Musikgeschmack Sendungen gestalteten.
“50 Jahre Krankenhausfunk” am Beispiel des Krankenahussenders Uelzen
Zwischen den einzelnen Titeln gewannen Informationsblöcke zunehmend an Bedeutung. In einem Kliniksender konnten noch lokale Nachrichten verlesen und locker aufbereitet werden. Da viele der Einrichtungen von „Laien“ betreut wurden, entstand oftmals eine lustige, aber sehr unterhaltsame Moderation, die bei professionellen Sendern kaum eine Chance hatte. Was bei Radio Luxemburg (Folge 12) im Großen geschah, passierte bei den Krankenhaussendern im Kleinen. Unzählige Rundfunkmoderatoren großer Sender nutzten ihre Erfahrungen bei einem Krankenhausfunk als Karrieresprungbrett in die berufliche Radiowelt.


Der Krankenhausfunk hatte eine therapeutische Bedeutung
Die Wahrnehmung von Musik ist nachweislich an der Genesung kranker Menschen beteiligt. Der psychologische Aspekt der Zuwendung gewinnt besondere Bedeutung, wenn der Moderator beispielsweise für die Patienten in Zimmer 103 einen Wunschtitel spielt. So fühlen sich Patienten verstanden und erhalten das Gefühl, im Fokus der Einrichtung zu stehen. Hier gewinnt der Satz „der Hörer gestattet dem Moderator, bei ihm zu sein“ an Bedeutung. Zu besonderen Anlässen (Weihnachten und sonstige Feste) werden vielfach Sondersendungen produziert oder gesangliche Darbietungen aus zentralen Räumlichkeiten in die Zimmer der Patienten übertragen. Dazu gehört in vielen Krankenhäusern auch die Übertragung der hausinterne Gottesdienste.



Die dienstältesten aktiven Sender dieser Art in Deutschland befinden sich seit 1965 in Uelzen, seit 1967 in Greven (Nordrhein-Westfalen) und seit 1969 in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg).
Während in den 70er-Jahren knapp 200 Krankenhausfunks tätig waren, sind es 2020 bundesweit nur noch 40 aktive Sender.
Eine “Institution” wird bald verschwunden sein
Einige Krankenhaussender versuchten in den vergangenen Jahren ihr Programm auch über das Internet anzubieten, was aber kaum dazu führte an die Erfolge früherer Zeiten anzuknüpfen. Hinzu kommt das steigende Angebot von Alternativen, wie verbesserter Empfangsmöglichkeiten von Fernseh- und Radiosendern sowie der steigenden Anzahl von Podcasts zu allen möglichen Themen. Was Hörer/Innen heute fast mehr zu schätzen wissen, als die persönliche Ansprache aus dem Krankanhausfunkstudio. Was wohl dazu führen wird, dass es in den nächsten Jahren noch weniger Krankenhaussender geben wird. Eine “Institution” wird so bald verschwunden sein. Schade!

In der nächsten Folge:
Das Radio täglich neu erfinden
Wie aus den Piratenradios der 70er und 80er Jahre die Freien Radios entstanden.
