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Die Geschichte des Radios (15): Als die Piraten das Radio enterten

Als die Piraten das Radio enterten

Teil 15: 1960-1995

Piratensender sind Rundfunk-, in der Regel Hörfunksender, die ohne Lizenz ihr Programm ausstrahlen. Der Begriff bezeichnet private Sender, die von innerhalb eines Staatsgebietes aus ohne Genehmigung der zuständigen Behörden senden. Piratensender sind immer Schwarzsender. Die Definition der Schwarzsender ist jedoch weitergehend zu verstehen, zum Beispiel eine im Morsecode gegebene Amateurfunkausstrahlung ohne Lizenz. Dient aber ein Schwarzsender zur Verbreitung von Rundfunkprogrammen oder rundfunkähnlichen Darbietungen, so spricht man von einem Piratensender. Piratensender sind also vereinfacht gesagt Schwarzsender, die Radioprogramme ausstrahlen.

Die Bezeichnung „Piratensender“ ist dem Umstand geschuldet, dass zur Ausstrahlung freie Sendefrequenzen ungefragt genutzt werden, oder auch von anderen, legalen Sendern benutzte Frequenzen „gekapert“ und mit dem eigenen Programm überlagert werden (Störsender). Piratensender waren in der Geschichte häufig „Seesender“, da sie sich früher in internationalen Gewässern („Offshore“) den Zugriffen der Behörden entziehen konnten. Daher stammt auch der Begriff „Offshoreradio“. Weiterhin bietet das Meerwasser eine exzellente Erdung, was insbesondere für den Sendebetrieb auf Kurz- und Mittelwellenfrequenzen vorteilhaft ist.

Technik für einen Piratensender

Ein Tonbandgerät (oder vergleichbares Abspielgerät), ein Sender von 5 bis 25 Watt, eine Antenne und eine Batterie reichen aus, eine illegale Radiostation zu betreiben. Zur Hochzeit der illegalen Radiostationen in den 70er-Jahren (vor der Zulassung privater Hörfunksender und dem Entstehen des Internetradios) kostete die notwendige technische Ausstattung ca. 600 Euro, fertige Anlagen aus Italien waren für 1.500 Euro zu haben. Heutzutage lässt sich bereits für rund 60 Euro ein Sender aufbauen, die Preise für eine brauchbare fertige Anlage beginnen bei etwa 180 Euro.

Seit der Legalisierung von FM-Transmittern ist der technische Aufwand noch geringer: man benötigt lediglich einen Leistungsverstärker, um die Leistung anzuheben und Modifikationen am FM-Transmitter um das Ausgangssignal anzuzapfen.

Die klassischen Piratensender in Europa

Als erster europäischer Piratensender nahm bereits im Jahr 1958 Radio Mercur den Sendebetrieb vor Dänemark auf, und zwar von einem ehemaligen deutschen Fischereischiff, umbenannt in „Cheeta“. Anschließend ging vor der niederländischen Küste Radio Veronica auf Sendung, gefolgt von Radio Nord vor Stockholm.

“Radio Caroline” wurde der bekannteste Piratensender

Die bekanntesten englischen Piratensender waren Radio Caroline und Wonderful Radio London, genannt Big L. Beide sendeten ihre Programme ebenfalls von Schiffen außerhalb der Hoheitsgewässer vor der englischen Küste. Andere Seesender hatten ihre Sendeanlagen auf verlassenen Forts aus dem Zweiten Weltkrieg in der Themsemündung errichtet (z. B. Shivering Sands, Red Sands).

Radio Caroline – Der vorbildliche Piratensender (radioWissen DLF 2006)

Der Piratensender Radio Caroline startete seinen Betrieb am 28. März 1964. Das erste Piratenradio in Großbritannien und dieser war für die Entwicklung der Popmusik der 1960er Jahre von großer Bedeutung. Gründer war der irische Musikmanager Ronan O’Rahilly. Bevor er Radio Caroline ins Leben rief, war er Leiter eines Szene Clubs in London, im Stadtteil Soho. Zudem managte er mehrere Pop-Musiker, darunter der R&B-Musiker Georgie Fame.

Gesendet wurde von einem Schiff, der MV Fredericia, das vor der Küste von Essex vor Anker lag. Der Sender überstand mehrere Unterbrechungen und Abschaltungen und sendete bis 1990. Radio Caroline gibt es bis heute, man sendet 24 Stunden in Teilen Englands legal über Digital Audio Broadcasting und über das Internet.

Am 12. Mai 1964 kam ein zweites Schiff hinzu, die Atlanta, von dem der Sender Radio Atlanta startete. Bands wie The Who oder Status Quo wurden dadurch bekannt. Mehrfach musste der Betrieb eingestellt werden, da der Staat dies nicht duldete. Die Atlanta, die man in Mi Amigo umbenannt hatte, sank 1980. Radio Caroline ging nach einigen Unterbrechungen immer wieder neu auf Sendung. Von 1983 bis 1990 sendete man vom Schiff Ross Revenge, das über einen 90 Meter hohen Sendemast verfügte.Wonderful Radio London (Big L) war neben Radio Caroline der erfolgreichste Piratensender, der Mitte der 1960er Jahre im Vereinigten Königreich zum Image der „Swinging Sixties“ beitrug.

Die “Galaxy” in Kiel 1975

Wie viele anderen Piratensender sendete Big L ab 1964 von einem Schiff, dem ehemaligen US-amerikanischen Minensucher der Admirable-Klasse Galaxy (früherer Name USS Density), in der Nordsee außerhalb der britischen Drei-Meilen-Zone (offshore-radio). Big L wurde besonders von jungen Leuten gehört, bedingt durch die moderne Musik, die gespielt wurde. Der Einsatz von Jingles und die lockere Art der Moderation waren weitere Erfolgsfaktoren. Zu den Moderatoren gehörten Kenny Everett, Tony Blackburn und John Peel.

Derzeit gibt es in Großbritannien schätzungsweise 150 dieser Sender. Radio Caroline war der Grundstein für viele weitere. 1967 gab es bereits 10 Piratensender. Bis 1989 gab es etwa 600 in Großbritannien, allein in London gab es 60. 1990 entstanden durch die Rave-Welle; Radio Sunrise, Radio Fantasy oder Radio Center Force.

Nach Inkrafttreten des Marine Broadcasting Offences Act stellten bis zum 14. August 1967 fast alle britischen Seesender ihren Sendebetrieb ein, nur Radio Caroline blieb unter dem Namen Radio Caroline International bis zum 3. März 1968 weiterhin auf Sendung. An diesem Tag wurden dann beide Schiffe wegen finanzieller Forderungen durch die Wijsmuller Company nach Holland verbracht. Damit endete die klassische Ära der überaus populären britischen Piratensender.

In den sechziger und siebziger Jahren waren die Niederlande Ausgangspunkt verschiedener Piratensender wie Radio Veronica und Radio Nordsee International (RNI), die von Schiffen außerhalb der Hoheitsgewässer sendeten. Auch sie mussten am 31. August 1974 (Final-Closedown-Day) den Betrieb einstellen, nachdem auch die erste und zweite Kammer des niederländischen Parlaments – als letzte Regierung der Nordsee-Anrainerstaaten – dem sogenannten „Anti-Veronica-Gesetz“ zugestimmt hatte.

Piratensender im deutschsprachigen Raum

In den 80er Jahren schießen die Piratensender überall wie die Pilze aus dem Boden. Auch in Erlangen geht der Querfunk illegal auf Sendung. Mit Hubschraubern sucht die Polizei nach den Äthertätern und macht Jagd auf größere Fahrzeuge, in denen sie die Sender fälschlicherweise vermutet.

Piratensender in den 70er und 80er-Jahren in den Niederlanden

In der Auseinandersetzung um das Endlager für radioaktiven Müll in Gorleben sendete vom 18. Mai bis 4. Juni 1980 Radio Freies Wendland. Mit der Erstürmung der Republik Freies Wendland durch etwa 10.000 Beamte musste auch der Piratensender seinen Sendebetrieb einstellen.

Piratensender “Nordsee international” – August 1974 – Mitschnitt aus der Kurzwelle

In Frankfurt am Main entstand 1980 aus autonomen Zusammenhängen der Sender Radio Isnogud. 1981 sendeten die Startbahngegner mit einem eigenen Sender aus dem Hüttendorf auf dem Gelände der Startbahn West.

Ebenfalls Anfang der 1980er Jahren sendete „Radio Wahnsinn“ von wechselnden Sendestandorten ein politisches Programm im Raum Köln. Der Sendebeginn wurde kurz zuvor in Zeitungen angekündigt. Erkennungsmelodie des Senders war der Song „Wahnsinn“ von BAP. Eine Sendung platzte, weil der am Kölner Dom aufgehängte Sender von einer Schülergruppe entdeckt und irrtümlich für eine Bombe gehalten wurde.

Eine kleine Geschichte der Piratensender (wdr5)

Am 23. Juli 1988 wurde mit Radio Dreyeckland in Freiburg das erste deutsche freie Radio legalisiert, nachdem eine juristische Verfolgung des Piratenradios aussichtslos wurde. In der Schweiz ging am 14. November 1983 das freie Radio Radio LoRa in Zürich auf Sendung. In dem Zusammenhang mit den „freien Radiostationen“ spricht man auch vom „trialen Rundfunksystem“, damit ist die Dreiteilung der vorhandenen Frequenzen auf die drei Standbeine öffentlich-rechtlicher, kommerzieller und gemeinnütziger freier Rundfunkveranstalter gemeint.

Radio P nutzte 1989/1990 die Wirren der Wende und sendete in Berlin ein chaotisches Programm. Die Sendeanlagen wurden auf den Dächern von Wohnhäusern aufgebaut. Bis 1994 sendete Radio P jedoch nicht durchgängig.

Die Sendung „Das Radio täglich neu erfinden“ stammt aus dem Jahre 1999. Sie enthält Aufzeichnungen aus der Vor- und Frühgeschichte Freier Radios, in der „für die Bewegung und aus der Bewegung heraus“ gesendet wurden und O-Töne aus Interviews mit Radio-PionierInnen. Für die Archivaufnahmen über Radio Verte Fessenheim und Radio Dreyeckland danken wir der Medienwerkstatt Freiburg, die uns 1999 ihre Videomaterial zur Verfügung stellte.

1997 begann TwenFM in Frankfurt/Main ein illegales DJ-Programm auszustrahlen. 1999 zog der Sender nach Berlin um und sendete dort illegal weiter. Nach Konfiszierung der Sendeanlagen pausierte der Sender 2000 und ging 2001 erneut mit einem 12-Stunden-Programm auf Sendung. Wieder wurde der Sender beschlagnahmt. Bis 2004 beteiligte sich TwenFM dann an legalen Veranstaltungsradios. Bis Oktober 2005 sendete TwenFM im Rahmen einer DAB-Promotion legal auf

Piratensender Radio Kollmann – 1996 – Irgendwo im Chiemgau

Piratensender blühen auch im Internet-Zeitalter

Von Tanzmusik bis zu kirchlichen Diensten: Piratensender sind auch heute in den USA noch überaus aktiv – trotz des Internets. So sehr, dass reguläre Rundfunkveranstalter und Gesetzgeber zunehmend besorgt sind. Irvington Im Zeitalter von Podcasts und Streaming-Diensten sollten Piratensender eigentlich zu den geringsten Sorgen von Gesetzgebern und Rundfunkveranstaltern zählen. Das Gegenteil ist der Fall – zumindest in den USA. Hier ist man zunehmend beunruhigt über die Schwarzsender, die in einigen Städten Frequenzen mit allem Möglichen belegen – von Tanzmusik à la Trinidad bis zu haitianischen Quiz-Shows. Beklagt wird, dass die zuständige Kontrollbehörde unfähig sei, den Piraten das Handwerk zu legen.

Dank kostengünstiger Technologien können die nicht lizenzierten Sender Gebiete von mehreren Quadratkilometern abdecken. Die meisten richten sich an Immigranten-Gemeinden, die, so sagen die Piraten, von genehmigten Sendern vernachlässigt werden.

Wir danken Thomas Kircher und seiner Seite fm.kompakt, aus der wir viele Informationen entnehmen durften.

In der nächsten Folge:

Nach den Piraten- kamen die Privatsender, die auch heute noch die Radio-Welt beeinflussen.

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