Stresemanns Ganz normal

Die Geschichte des Wunschkonzertes (3) – Musikwünsche zur Hörerbindung

Nach dem Zusammenbruch des tausendjährigen Reiches dauerte es etwas länger, bis wieder ein Rundfunkprogramm die Deutschen erfreute. Nachrichten, in Musik verpackt, waren für die Besatzungsmächte das Gebot der Stunde. Im Programm gab es da auch kleinere Unterschiede in den Vorstellungen der großen Vier. Die drei Westmächte waren die Ersten, die ein “Wunschkonzert” im neuen, deutschen Rundfunk duldeten.

Das sollte alles anders werden, als am 10. Juni 1950 die damals sechs bestehenden Sendeanstalten der “neuen” Bundesrepublik die ARD (Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands) gründeten. Mehr Staatsferne bei der Organisationsstruktur und im Programm war das Ziel. Aber auch die Geräteindustrie sorgte für neue Töne: Raum-Klang, 3D-Verfahren und Rundumstrahler hießen die magischen Wörter für Radio-Wirtschaftswunder. Über mehrere Front- und Seitenlautsprecher füllten große Luxusradios die gute Stube mit dem “Trapper von Alaska” oder dem “River-Kwai-Marsch“.

Und was die öffentlich-rechtlichen deutschen Sender nicht brachten, besorgte sich die Nachkriegsjugend bei den Stationen der Alliierten. Als Peter Kraus den Schmalztollen-Begeisterten dann erläuterte, ein richtiger Mann müsse wie ein Tiger sein, da gab es die Popmusik schon in einer Qualität zu hören, wie sie vorher nur die Schallplatte bot. Der Rundfunk hatte Mitte der 50er Jahre den Betrieb auf Ultrakurzwelle aufgenommen – das Zeitalter der Musiktruhen mit glühenden, magischen Augen hatte begonnen.

Erwähnenswert ist zu diesem Zeitpunkt die SFB-Sendung “Melodie des Hörers“, die eine besondere Bedeutung mit dem Bau der Mauer erhielt. Schlug sie doch die Brücke zu Verwandten, Freunden und Bekannten auf beiden Seiten. Radio Bremen setzte auch beizeiten seinen Ehrgeiz daran, zu sagen: „Wir erfüllen Hörerwünsche“. Das war nicht nur von 1947 bis 1953 ein breitangelegter Programmteppich, sondern ein Service, der mancherlei Gründe hatte. Peter Frankenfeld und Heinz Erhardt besorgten u.a. auch die Moderation. Später gab es als festes Sprecherteam “Ursula & Manfred” die in die Frühgeschichte des kleinen Senders eingingen. Das “Wunschkonzert” wurde der Fleck im Programm, der Bremens Weltweite widerspiegelte.

Seine Renaissance erlebte das „Wunschkonzert“ in den 70er-Jahren durch die Gründung zahlreicher Krankenhausfunk-Sender, die teilweise mehrmals die Woche die unzähligen Plattenwünsche der Patienten erfüllten (Bild oben links: erfüllt seit 50 Jahren im Krankenhausfunk Musikwünsche: Studiowellenchef Hartmut Vogelsang). In der Blütezeit gab es BRD-weit knapp 80 dieser Sender. Jetzt – 50 Jahre später – sind knapp 20 übrig geblieben.

Heute hat das „Wunschkonzert“ seinen ursprünglichen Reiz verloren. Kaum wird noch vor dem Radiogerät gesessen und der Verwandtschaft mit einem „Tzzz“ angedeutet, dass man nun unbedingt „seinen“ Musikwunsch hören wolle, der endlich, endlich dran sei. Dies passiert eher so ganz nebenbei.

Musikwünsche dienen nur noch der Hörerbindung, denn kaum ein Sender vergisst unermüdlich zu betonen, dass natürlich überwiegend die Musik seiner Hörer gespielt werde. Da können sich dann am Dienstag Schulen wünschen, was im Radio laufen soll (SWR3) oder es laufen jeden Mittwoch die Wunschsongs eines Betriebs oder einer Firma. Wer Schlager mag, wird jeden Sonntag mit mehrstündigen Schlagerwunschkonzerten überhäuft (BR Schlager).

Doch nicht genug: Bei den privaten Radiosendern werden Musikwünschen ganze Tageszeiten eingeräumt.  Bei Delta-Radio zum Beispiel immer montags bis freitags von 12:40 – 13:40 und 17:40 – 19:40 Uhr, samstags von 10:40 bis 11:40 und 14:40 – 17:40 Uhr und sonntags von 10:40 bis 11:40 Uhr. Ganz so kompliziert machen es andere Privatsender nicht. So gibt es feste Musikwunsch-Sendezeiten bei

Hitradio Ohr – täglich von 13 bis 14 Uhr
Hitradio RTL – Freitags von 20 bis 23 Uhr
Hitradio RT.1 Nord- und Südschwaben – Sonntags von 8 bis 12 Uhr

Bei Hitradio FFH gibt es so einen Musikwunsch-Service, allerdings nur aus bestimmten Songs. Nach dem Klick auf das CD-Cover und der Eingabe persönlicher Daten (Name, Wohnort) wird angezeigt, wann der Song gespielt wird. Meistens handelt es sich dann um ein paar Stunden, aber vielleicht wäre der Song zu diesem Zeitpunkt ohnehin im Programm gelaufen. Ganz ähnlich ist das Prinzip bei den hr3-“Lieblingssongs”, auch hier kann aus der Liste der Titel der nächsten Tage einer ausgewählt werden, gibt man seine Daten an, kann man einen Kopfhörer gewinnen und es steht dann da halt “Wir spielen XYZs Lieblingssong(s)”.

Vom „Wunschkonzert“ zum täglichen Musikwunsch, irgendein Sender erfüllt sie gerade, wenngleich – im Gegensatz zu damals – die Stars per Musikwunsch nun digital über das Handy kommen. Damals ging es nur über den „Radio-Apparat“, zu dem der Sprecher bei der Absage aus dem Wohnzimmer-Studio mahnte: “Wir wünschen Ihnen eine Gute Nacht. Vergessen Sie bitte nicht, die Antenne zu erden!“


Die neue Reihe bei
“Stresemanns Ganz normal”
ab September 2021

Was bedeutet das Gefühl, irgendwo hin zu gehören? Tanya Perdikou wuchs in einer unkonventionellen Familie in einer konservativen ländlichen Gemeinde auf und hatte immer das Gefühl, dass sie dorthin gehört. In unserer neuen Serie macht sie Sinn für Zugehörigkeit und warum es wichtig ist. In sechs Aufsätzen untersucht Tanya, wie Sucht, Rassismus, Ort, Elternschaft und in letzter Zeit eine globale Pandemie beeinflussen können, wie und wo wir uns zugehörig fühlen.

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