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“Wohin mit dem Ding?”

Platz für ein “TinyHouse”

“Wohin mit dem Ding?”

Vor einiger Zeit habe ich euch von meinen Überlegungen berichtet, in ein kleines – 30 qm großes – sogenanntes „Tiny House“ zu ziehen. Wie es aussehen soll, weiß ich schon ganz genau. Was anderes ist es, wenn es um die Frage geht, wo es stehen soll. Seit drei Jahren suche ich in ganz Deutschland nach einem Stellplatz für mein „Tiny House“. Aber lest selbst:

„Heiliger St. Florian, verschon uns, lass die anderen ran!“

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Nur die wenigsten Kommunen und Gemeinden wissen mit der Anfrage zur Aufstellung eines „Tiny Houses“ etwas anzufangen. Viele der Ansprechpartner denken bei dieser neuen Wohnform zunächst an Zirkuswagen und Wandervolk. Dabei steht eines fest: Ich werde auch in meinem „Tiny House“ weiterhin an die Gemeinde Steuern und Gebühren zahlen, wenn sie mich bei sich wohnen lässt. Doch vielfach wurden meine Anfragen einfach schnell vom Tisch gefegt, mit der Begründung, dass es das geltende Baurecht nicht zulasse.

Mehr als 500 Städte und Gemeinden habe ich im vergangenen Jahr befragt, wie sie denn zu alternativen Wohnformen stünden? Überwiegend verfahren sie nach dem ‚St. Florians Prinzip‘: „Heiliger St. Florian, verschon uns, lass die anderen ran!“. Knapp 1.000 „Tiny Houses“ gab es Ende 2019 in Deutschland, meist versteckt auf Hinterhöfen oder Wiesengrundstücken, um so den gesetzlichen Zwängen zu entgehen. Denn so politisch gespalten die BRD derzeit auch ist, bei neuen Wohnkonzepten sind sie sich einig. Gut finden sie sie alle, aber „bitte nicht bei uns“.

„Wieso? Fünf Jahre sind in der Politik unheimlich schnell!“

Während die Stadt Dortmund in drei Jahren ein handfestes Konzept für die Ansiedlung alternativer Wohnformen aufzeigen will, verweisen Städte wie Coesfeld und Warendorf darauf, dass die „üblichen“ Bestands-Bebauungspläne keine gute und stimmige planungsrechtliche Grundlage für „Tiny Houses“ böten und man erwäge entsprechende Änderungen, was aber noch mindestens drei bis fünf Jahre dauern könne“. Auf meine Frage, warum es denn so lange brauche, planungsrechtliche Grundlagen zu schaffen, bekam ich aus Berlin die Antwort: „Wieso? Fünf Jahre sind in der Politik unheimlich schnell. Denken sie mal daran, wie lange wir noch für den Kohleausstieg brauchen.“ Soll heißen, ich solle mich bitte gedulden, denn egal wie schnell es ginge, ausschlaggebend seien die Interessen der Wirtschaft und der Politik.

Ganz weit weg von alternativen Wohnformen ist übrigens die Stadt Münster „Man beobachte das. Aber derzeit gebe es kein Bestreben, bestehende Regelungen umzuschreiben“, war mir gegenüber die Antwort aus dem Rathaus. Kein Wunder, an mehreren Stellen sind private Bauvorhaben mit kleinen Apartments vorgesehen, was ja – so die Stadt „Einer alternativen Wohnform gleich käme.“ Die Mieten dafür werden – ähnlich wie bei bereits bestehenden Projekten – für Einzelpersonen kaum zu bezahlen sein. Zudem wird bezahlbarer Wohnraum so immer knapper. Fazit: In ihrem Interesse für neue Wohnformen liegt die Westfalen-Metropole so weit entfernt, wie der Ausbau des 5G-Datennetzes. Daher belegt Münster von allen befragten Städten und Gemeinden Platz 478 bei alternativen Wohnformen.

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Tiny Houses

Ein wenig History

Tiny Houses auf Rädern sind keine neue Erfindung: Bereits in den 1920er Jahren gab es Tüftler, die die Mobilität des Autos mit der Behaglichkeit des eigenen Zuhauses verbinden wollten. So entstanden die ersten “Motorhomes” – mit zunehmendem “Tuning” war jedoch bald der ursprüngliche, an ein Haus erinnernde Aufbau einer kompakteren Form gewichen.

Die Sehnsucht nach kleinen Zufluchtsorten, sei es zur inneren Einkehr oder zur Erholung, ist noch wesentlich älter: Man denke nur an Eremitagen oder auch an Henry Thoreaus “Walden”… Verschiedene Architekten veröffentlichten in den vergangenen hundert Jahren Entwürfe für auf das Wesentlichste reduzierte Behausungen. Lloyd Kahn und Bob Easton brachten 1973 “Shelter” heraus, eine Dokumentation bodenständiger Bauweisen und Minihäuser in aller Herren Länder.

1987 erschien das Buch des US-amerikanischen Architekten Lester Walker “Tiny Tiny Houses: or How to Get Away From It All”. Einen regelrechten Hype löste Architektin Sarah Susanka dann mit ihrem 1998 erschienen Buch “The Not So Big House” und den folgenden “Not So Big …”-Veröffentlichungen aus. Sie bereitete damit auch den Boden für das von Jay Shafer angeschobene “Tiny House Movement” in den USA.

„Ich will doch einfach nur 30 qm Deutschland!“

Die Mieten-, Immobilien- und Bodenpreisexplosion in den letzten Jahren ist eine dramatische Zäsur in der Stadt- und Regionalentwicklung. Eigentum zu erwerben ist für immer weniger Menschen möglich. „Tiny Houses“ sind hier eine Alternative und werden in Zukunft Länder, Kommunen und Gemeinden immer mehr beschäftigen. Mit der Landesbauordnung, die 2016 vom Landtag NRW beschlossen wurde, ist die Grundlage für innovatives und nachhaltiges Bauen geschaffen worden. Ein „Tiny House“ zeigt diese gewünschte Kreativität in der Entwicklung neuer Lösungen. Ein Grund: „Tiny House“-Bewohner leben freiwillig in ihrem klitzekleinen Wohnraum. Je kleiner das Haus, desto geringer der Energieverbrauch beim Bauen und beim Wohnen. Kaum jemand tut es, weil er sich nichts Anderes leisten kann! Nein, es ist eher ein Puzzleteil zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Zersiedelung.

Derzeit gibt es im deutschen Baurecht aber keine Unterscheidung zwischen mobilen und immobilen Wohnformen. Heißt: Wer in einem „Tiny House“ wohnen will, selbst wenn es auf Rädern steht, der kann es nicht einfach auf einer Wiese abstellen. Der braucht Baugrund und Infrastruktur – einen Anschluss an das Straßennetz, an die Kanalisation sowie das Wasser- und Stromnetz. Deutsche Bebauungspläne legen akribisch fest, wie Häuser in einem Wohngebiet auszusehen haben: Wie hoch dürfen sie sein? Wie sieht das Dach aus? Alternative Wohnformen kommen in Bebauungsplänen nicht vor. Somit wissen die Ämter mit den neuen Wohnformen nichts anzufangen. Sie können sie nicht kategorisieren. Sie wissen nicht, wie sie es benennen sollen, einerseits hat es Räder, andererseits steht es fest.

Bei meiner Suche nach 30 qm Stellplatz in Deutschland boten sich einige Campingplätze an, die Jahresplätze zu Verfügung stellen. Seinen festen Wohnsitz dort anmelden, ist aber nur in den wenigsten Fällen erlaubt. Hier spielen viele Gemeinden dann mangels fehlender Steuereinnahmen nicht mit. Also egal, was ich mit meinem „Tiny House“ mache, ich verstosse mit Sicherheit gegen irgendein Gesetz.

„Dafür haben wir keine Zeit!“

Das verleitete mich dazu, die Bauämter mit den unterschiedlichsten Auslegungen zu konfrontieren. Ist ein „Tiny House“ auf Rädern („on wheels“) beispielsweise nicht auch Ladegut auf einem Anhänger und fällt damit nicht unter die Bebauungspläne? Oder kann ich mein „Tiny House“ nicht auf Grundlage des seit dem 26. November 2014 in Kraft getretenen „Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht“ aufstellen?*

Einigen Städten und Gemeinden muss ich da Respekt zollen. Sie haben meine Fragen mit Geduld überprüft und wohlwollend abgelehnt. Es ist nicht so, dass keiner will in den Ämtern. Es weiß einfach keiner „Wie“! Wäre es da nicht angebracht, jetzt schnell grundsätzliche und nachhaltige Lösungen zu finden? Für die Städte und Gemeinden bedeutet dies, sich aktiv mit den derzeitigen und zukünftigen Wohnproblemen zu beschäftigen und die Bürger dafür zu sensibilisieren. Die Idee dahinter: Das Bewusstsein für kleineres Wohnen schaffen und dieses in der Folge auch leichter möglich machen. Eine Win/Win-Situation also! Umgekehrt brauchen wir aber die Politik, um Wege wie diesen legal zu ermöglichen. Wir brauchen Politiker, die sich trauen, etwas Neues auszuprobieren. Wir brauchen Politiker mit dem Mut, endlich etwas verändern zu wollen.

Diese gab es übrigens schon: Die Stadt Erlangen hätte bereits 2016 mit den Planungen beginnen können. Einen Antrag der dortigen Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen (034/2016) nach Flächensuche für alternative Wohnformen, wie „Tiny Houses“ wurde von der Stadtverwaltung mit dem Hinweis „Dafür haben wir keine Zeit!“ abgelehnt. Auf die Idee, diese Anfrage an interessierte Bürger und Grundstücksbesitzer weiterzugeben kam damals keiner.

* Das „Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht“ ist seit dem 31. Dezember 2019 ungültig und galt zurecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen.

„Personnummer“ und „Pastis“ bei unseren europäischen Nachbarn

Nach Ansicht des „Tiny Haus Forum“ – dem derzeit größten Portal für „Tiny House“-Interessierte – wird der Hype nach dieser alternativen Wohnform weiter ansteigen. So werden wohl in diesem Jahr mehr als 50.000 „Tiny Houses“ gebaut.
Unsere europäischen Nachbarn sind beim Thema „Tiny House“ erheblich weiter. In Schweden beispielsweise genehmigt die entsprechende Kommune durch Vergabe einer „Personnummer“ das Aufstellen. Bei unserem nördlichen Nachbarn zählt eine Arbeitsstelle oder regelmäßiges Einkommen, dass du deine Steuern bezahlst und du dein Haus am Abwassernetz angeschlossen hast.

In Frankreich macht es seit 2018 ein neues Gesetz mittlerweile einfacher, dauerhaft legal in „Tiny Houses“ zu wohnen. Hier entscheidet zunächst der Bürgermeister der Gemeinde selbst, ob du geeignet bist. Was unter Umständen einige Besuche bei und von ihm und evtl. noch einige Runden Pastis bedeutet. Ich kann nur hoffen, dass Deutschland nicht nur die Kreisverkehre von Frankreich übernimmt, sondern auch noch die Haltung gegenüber „Tiny Houses“. Ich suche vorerst hier Deutschland weiter! Dabei fällt mir ein: Ich könnte ja auch mal bei Kirchens anfragen ….

Was sind „Tiny Houses“?

Auch wenn es hierzulande keine offizielle Definition davon gibt, was “Tiny Houses” sind, so lässt sich aus der wörtlichen Übersetzung des englischen Begriffs (“winzige Häuser”) leicht ableiten, dass es sich um die kleinste Form von Wohngebäuden – in der Tat könnte man sie “Kleinsthäuser” nennen – handelt. In diesem Kontext hört und liest man auch die Bezeichnungen “Mikro-, Mini- und Kleinhaus”, wobei die Grenzen fließend sind. Immerhin liegt es in gewisser Weise auch im Auge des Betrachters, was klein oder winzig ist.

„Tiny Houses“ werden auch hierzulande nicht als Alternative zu Wohnwagen verstanden, mit denen man auf Tour geht, sondern viel eher als die ideale Lösung, um das Bedürfnis des “eigenen Daches über dem Kopf” und ein begrenztes Budget (sowie nicht auszuschließende Wohnortswechsel) ohne nenneswerte Verschuldung unter einen Hut zu bringen. “Tinyhousern” geht es in der Regel um die Reduzierung auf das Wesentliche zugunsten finanzieller Freiheit und persönlicher Unabhängigkeit sowie um einen Beitrag zu Ökologie und Nachhaltigkeit.

In Europa befindet sich das Tiny-House-Movement noch in den Anfängen, aber immer mehr Menschen werden vom “Tiny-House-Fieber” gepackt.

Bemerkungen

  • Danke vielmals für den Artikel über Tiny houses. Meine Tochter baut sich grad eins…aus Holz, dass niemand mehr braucht. Es ist nicht gerade ein kleines Projekt und sie investiert so ziemlich alles da hinein, Zeit, Geld…. Der Standplatz wird auch ein Problem werden, das ahne ich schon. Trotzdem unterstütze ich sie voll und ganz. Wer weiss, vielleicht gründen wir ein mal ein Tiny House Dorf. Es braucht Vorreiter für jede Sache und diese hat bestimmt Zukunft! Ich bin stolz auf mein Mädel!

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