
Weil in diesem Monat die Reihe “Die bunten 70er-Jahre” beginnt und andere und ich noch viel, viel, mehr über dieses Jahrzehnt zu berichten wissen, gibt es für die diese Geschichten, besondere Ereignisse oder Statistiken zusätzlich die eigene Rubrik “So schön waren die 70er-Jahre”. Heute schildere ich euch einmal ein Erlebnis aus meiner Kindheit:
Ich erinnere mich noch daran, wie mir meine Eltern Anfang der 70er Jahre einen Teddybären zum Geburtstag schenkten. Etwa 40 cm groß, mit einem braunem, dichten Fell und dunklen Knopfaugen. Meine große Schwester schlug vor, ich solle ihn doch „Sunny“ nennen, das hieße „Sonne“. Sie hatte gerade Englisch in der Schule bekommen und nahm jede Gelegenheit zum Anlass, mit ihren Fremdsprachenkenntnissen zu protzen.

Der Name gefiel mir und so bekam mein neuer Kumpel also den Namen „Sunny“. Wie viele andere Bären konnte sich Sunny mit einem Brummton bemerkbar machen, wenn man ihn bewegte. Nur bei ihm klang das nicht wie ein brummen, sondern mehr wie ein Pupser. Sollte Sunny krank sein? Nachts packte ich ihn warm ein, sprach mit ihm, dass das alles vorbei ginge und er bald wieder richtig brummen könne. Doch er pupste – auch in den nächsten Tagen. Ich überlegte, was meine Eltern mit mir anstellen, wenn ich mal pupsen musste. Beim letzten Mal bekam ich einen Tee, heiße Umschläge auf den Bauch und durfte den Tag über in eine Decke eingerollt im Wohnzimmersessel sitzen, weil der besonders weich war. Fernsehen durfte ich auch, was sich aber – angesichts des begrenzten Kinderprogrammes – in Grenzen hielt.
So fragte ich meine Mama, ob es nicht möglich wäre, dass Sunny auch einen Tee und einen heißen Umschlag bekomme könne. Und ob er die Nacht über mal im Wohnzimmersessel sitzen dürfe. Dieser Wunsch fiel mir nicht leicht, denn viel lieber hätte ich Sunny bei mir im Bett gehabt. Aber wenn es doch half. Außerdem hatte ich mit Sunny vereinbart, dass er mir am nächsten Morgen ausgiebig erzählen sollte, was im Fernsehen gekommen war. Meine Eltern waren einverstanden und meine Mama kochte Sunny extra noch einen „Bären-Gesundwerde-Tee“, den ich ihm geben durfte. Allerdings hatte Sunny nicht viel Durst, er pupste nur sehr und so ließ ich ihn allein und ging in mein Bett.
Die Nacht über schlief ich sehr schlecht, weil ich daran denken musste, wie es Sunny wohl ging. Ganz früh stand ich auf, rannte ins Wohnzimmer und erschrak: Sunny hatte ein Loch im Bauch, aus dem Holzwolle hervorschaute, außerdem zahlreiche Kratzer und ein Auge hing schief. Meine Mutter nahm mich in den Arm und erzählte mir, dass Sunny mit unserem Kater gekämpft hatte, weil der unbedingt in den Sessel wollte. Dann holte sie Verbandszeug und wir bandagierten Sunny und über seinem Auge prangte ein Pflaster. Erst später erfuhr ich die wahre Geschichte. Unser Kater kam nachts von einem Kampf mit dem Nachbarkater zurück. Es ging wohl um die Gunst einer Katzendame. Jedenfalls muss er Sunny als Nebenbuhler oder willkommene Abwechslung gehalten haben, um daran seine Wut auszulassen.

Die nächsten Tage besserte sich meine Laune nicht, so dass mein Vater vorschlug, Sunny mit in ein Teddybären-Krankenhaus zu nehmen, das am anderen Ende der Stadt wäre. Deshalb könne ich auch nicht mit, aber er versprach mir alles zu erzählen und dafür zu sorgen, dass es Sunny dort gut gehe und er gesund zurück käme. Es dauerte noch einige Überredung meiner Eltern, bis ich zustimmte. Aus einer zusammengerollten Hose und unzähligen Taschentüchern baute ich Sunny ein Bett in einem Schuhkarton. Mein Vater trug ihn feierlich ins Auto und er durfte vorne sitzen.
Es waren eigentlich nur zwei Tage, aber für mich kam es damals wie eine Ewigkeit vor. Mein Vater kam aus dem Büro, unter dem Arm der Schuhkarton mit Sunny. Der war vollkommen gesund und brummte vor lauter Freude mich zu sehen. Ich war in dem Augenblick der glücklichste kleine Junge in unserer Straße. Die nächsten Jahre wurden Sunny und ich die dicksten Freunde. Er teilte meine Sorgen, ich sprach – er hörte zu, auch als der erste Liebeskummer kam. Sunny habe und liebe ich immer noch. Er liegt allerdings heute nicht mehr bei mir im Bett, sondern schaut von einem Regal auf mich herunter.
Letzte Woche habe ich mit meinem Enkel auf dem Dachboden unseres Hauses verstecken gespielt. Dabei entdeckte er auch eine Kiste mit Sachen meiner Eltern, unter anderem Spielzeug und ….
… Sunny. Also dem Sunny, der verbunden, verpflastert und pupsend in der Kiste lag. Aus den beiliegenden Zetteln ging hervor, dass mein Vater damals in sieben Spielzeugläden war, um genau so einen Teddy zu bekommen, der so aussah wie Sunny. Er hatte es geschafft und als ich meinem Enkel die Geschichte erzählte, bat er mich, den kranken Sunny mitnehmen zu dürfen. So habe er auch einen Teddy wie ich und sie könnten sich beide immer besuchen.
Später erfuhr ich, dass der kranke Sunny ein Opfer von Mikeys Spieltrieb wurde. Mein Enkel hatte nämlich einen lebenden Hund als Spielkameraden bekommen. Während ich noch überlegte, ob ich meinem Enkel meinen Sunny als Trost geben sollte, bekam ich die Nachricht, dass mein Enkel den Verlust sehr gut verschmerzt habe. So konnte ich meinem Sunny sagen, dass er bei mir bleiben werde. Und ich meine, er hat als Antwort darauf sogar ein wenig gelächelt.
