
Hallo, willkommen zu meinen heutigen „12von12“, nicht aus der Redaktion, sondern aus den „Emsauen“ des Vorortes Handorf bei Münster. Ich befinde mich heute auf „Wander-Exerzitien“ mit 12 weiteren Teilnehmern. Zusammen mit einem Geistlichen geht es zu verschiedenen Stationen, an denen wir verweilen werden und Gottes Worte reden. Oder wir wandern abwechselnd in Zweiergruppen und diskutieren über eigene Themen, die uns gerade bewegen und/oder interessieren. Wir starten von einem der größten und bewegendsten Friedhöfe in Westfalen, dem Friedhof Lauheide, auf den vielerlei Möglichkeiten angeboten werden, seine letzte Ruhe zu finden. Zum Beginn unserer Wanderung gedenken wir der Toten und stärken dadurch die Lebenden.

Heute beschäftigen wir uns mit Texten von Tomás Halik (Jahrgang1948). Er lehrt an der Karlsuniversität Prag und leitet die Tschechische Christliche Akademie. In den 1980erjahren baute er im Untergrund ein Netzwerk von Akademikern auf, das den Übergang zur Demokratie vorbereitete. Seit der ,,Samtenen Revolution” setzt sich Halik für religiöse Toleranz und den Dialog zwischen Anhängern unterschiedlicher religiöser und spiritueller Traditionen und insbesondere auch für den Austausch mit Skeptikern und Zweifelnden ein, die er als ,,Suchende” begreift. Mit ihm gehen wir der Frage unserer heutigen Wander-Exerzitien nach: „Von welcher Kirche träumen wir?“

“Vielleicht zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren … Vielleicht sollen wir das Fehlen von Gottesdiensten in den vergangenen Monaten als eine Zeit der Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott und mit Gott nutzen”, schreibt Tomás Halik.

Die Kirche sollte so sein, wie sie Papst Franziskus haben möchte: Ein Feldlazarett! Wenn die Kirche ein ,,Lazarett” sein soIl, soIl sie auf jeden Fall gesundheitliche, soziale und karitative Dienste anbieten, wie sie das seit Anbeginn ihrer Geschichte tat. Die Kirche soIl jedoch wie ein gutes Krankenhaus noch weitere Aufgaben erfüllen: die Diagnose (,,die Zeichen der Zeit” zu erkennen), die Prävention (Gesellschaften, in denen sich die bösartigen Viren der Angst, des Hasses, des Populismus und des Nationalismus verbreiten, zu immunisieren) und die Rekonvaleszenz (durch die Vergebung die Traumata der Vergangenheit aufzulösen).

Zwischen den verschiedenen Stationen führe ich Gespräche, zum Beispiel mit Florian, der mir von seinen drei Töchtern berichtet und dem Druck, der auf ihnen lastet. Beruf, Mann, Haushalt, Hausbau und dann auch noch perfekt sein zu müssen. Wir als Ältere sehen das anders, aber waren wir in deren Alter nicht auch so? Die Anforderungen der Gesellschaft sind heute wesentlich höher als noch vor 20 oder 30 Jahren, aber wir nehmen für uns Anspruch, dass wir noch die Möglichkeiten hatten, zwischendurch auch einmal zu uns zu kommen. Heute fällt es ziemlich schwer, sich bewusst zu werden, was will ich und wer bin ich. Als Vater, so Florian weiter, könne er seinen Töchtern nur immer wieder die Hand reichen.

Ich werde die Frage nicht los, ob die Zeit der leeren und geschlossenen Kirchen nicht einen warnenden Blick durch das Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft darstellt: So könnte das in ein paar Jahren in einem Großteil unserer Welt aussehen. Sind wir denn nicht genug gewarnt durch die Entwicklung in vielen Ländern, in denen sich die Kirchen, Klöster und Priesterseminare immer weiter leerten und schlossen? Warum machten wir äußere Einflüsse (,,den Tsunami des Saku|arismus”) verantwortlich und wollten nicht zur Kenntnis nehmen, dass ein weiteres Kapitel der Geschichte des Christentums zu Ende geht, und es daher notwendig ist, sich auf das nächste vorzubereiten?

Gespräch mit Walter, der sich angesichts der letzten obigen Worte fragt, wie es überhaupt mit der Welt weiter geht. Irgendwie scheint ihm alles ein wenig unsicher zu sein. Angefangen von den Ergebnissen der kommenden Wahl über die Entwicklung auf der Welt. Wo habe er da noch seinen Platz? Ich gebe ihm da ja durchaus recht, aber es gilt auch für sich selbst ein Stückchen „Wohlfühlwelt“ zu erhalten, um leben zu können, egal wie sich alles ringsherum ändert, was wir als Einzelner nicht unbedingt immer ändern können.
Die Zeit der leeren und schweigenden Kirchen können wir entweder nur als ein kurzes Provisorium annehmen, das wir dann bald vergessen werden. Wir können sie jedoch auch als kairos annehmen – als eine Zeit der Gelegenheit ,,in die Tiefen hinabzusteigen” und eine neue Identität des Christentums in einer Welt zu suchen, die sich vor unseren Augen radikal verwandelt. Die gegenwärtige Pandemie ist sicher nicht die einzige globale Bedrohung, der unsere Welt begegnet und noch begegnen wird. Am Ende der Pandemie wird – so Tomás Halik ,,die Welt nicht mehr dieselbe sein wie vorher und offensichtlich soll sie.auch nicht mehr dieselbe sein”.

Gottesdienst unter im „Benediktshof“, der ist eine christliche Meditations- und Begegnungsstätte ist. Er wurde 1986 von P. Ludolf Hüsing OSB und Christoph Gerling gegründet. Hier gibt es druassen genügend Platz, um mit einigem Abstand eine kleine Messe zu feiern.

Soziologische Studien sagen uns, dass in unserer Welt die ,,Beheimateten” weniger werden (und zwar sowohl diejenigen Menschen, die sich völlig mit einer traditionellen Form von Religion identifizieren als auch die Anhänger eines dogmatischen Atheismus) und die ,,Suchenden” mehr werden. Darüber hinaus steigt jedoch die Anzahl der ,,Apatheisten” – Menschen, die sowohl religiöse Fragen als auch traditionelle Antworten gleichgültig lassen. 1
Im Gespräch mit Carsten reden wir auch über den „Weg in die Tiefe“. Seiner ist der, dass seine Kinder sich von ihm abgewandt haben. Er weiß inzwischen, dass er nicht der Einzige ist und es anderen Eltern auch so geht. Er fragt sich aber, was diese „Generation der Abwender“ veranlasst dies zu tun. Liegt es daran, dass ihnen Familie und Gesellschaft nicht genug gegeben haben? Oder das Eltern nicht die Eltern waren, die sie sein sollten? Fragen über Fragen, die wir hier in den Emsauen nicht werden lösen können.

Mich hat Tomás Halik an einer Stelle besonders stark berührt: „Wir müssen unsere proselytischen Absichten ablegen.” Wenn es einen Gott gibt, dann glaube ich, dass es diesen einen Gott dann für alle Menschen gibt. Da braucht keine Kirche der anderen auch nur einen einzigen Gläubigen abzuwerben. Daraus folgt unmittelbar der ethisch moralische Auftrag, _JEDEM_ Menschen mit Respekt zu begegnen. Heute sind wir gute 13 Kilometer gewandert. Es gab wunderbare, erfrischende Stationen mit Gebeten und ebenso angeregte Gespräche. Es war wieder sehr schön. Euch wünsche ich einen schönen Abend und studiere noch die anderen „12 von 12“, die ihr hier findet.