Stuhlgang gegen Größenwahn: Worauf die mittelalterlichen Päpste thronten
Als Teil der Inthronisierung nahmen neue Päpste auf mehreren Sesseln Platz. Dazu gehört auch der sogenannte Kotstuhl, um den sich zahlreiche Mythen ranken. Der Historiker Volker Reinhardt weiß mehr darüber.
Der meist fälschlicherweise als “Porphyrsessel” (Sammelbegriff für magmatisches Gestein vulkanischer Herkunft) bezeichnete römische Stuhl aus Rosso-antico-Marmor war einer der Sessel, der bei der päpstlichen Inthronisierung Anwendung fand. Dabei standen stets zwei “Porphyrsessel” nebeneinander, um einen Doppelthron zu bilden – wohl in Anlehnung an den byzantinischen Doppelthron der Kaiser. Die Inschrift “Munificentia Pii Sexti P. M.” legt nahe, dass der antike Sessel erst durch die “Großzügigkeit” von Pius VI. in die Sammlung des Vatikanischen Museums aufgenommen wurde.

Das mittelalterliche Zeremoniell sah vor, dass der neu gewählte Papst als Nächstes auf einem weiteren Sessel Platz zu nehmen hatte. Nur war der aus Marmor gefertigte Sessel kein gewöhnlicher. In der Mitte der Sitzfläche war eine Öffnung – eine schlüssellochförmige Ausformung, die verdächtig an römische Latrinen erinnert. Nach erfolgreicher händischer Inspektion von unten, die sicherstellen sollte, dass es sich beim neuen Papst auch wirklich um einen Mann handelte, hieß es dann: “Duos habet!” Zwei Stück seien vorhanden. “Et bene pendentes!” Wohlhängend noch dazu.
Der ungewöhnliche Sessel diente nicht der Würde, sondern der Erniedrigung der Nachfolger Petri. Ab dem zwölften Jahrhundert wurde ein neuer Papst mit diversen Riten und Zeremonien in sein Amt eingeführt, die äußerst gegensätzlich aufgebaut waren. Einerseits dienten die Riten der Glorifizierung des unvergänglichen, königlichen Papstamtes. Andererseits sollte der Inhaber des Heiligen Stuhls als sterblicher Mensch zur Demut ermahnt werden.
Die Inthronisierung des neuen Papstes war ein Schauspiel in mehreren Akten. Allein der Festzug vom Vatikan zur Lateranbasilika wurde an heißen Tagen für betagte Neugewählte zur Tortur. Manche Päpste wie Leo XI. (1605) und Innozenz IX. (1591) starben sogar an den Folgen.
Kot und Satan
Als Teil der Krönungsordo kamen zudem mehrere Stühle zum Einsatz, über die in der Forschung bis heute gestritten wird. Einer dieser Stühle war der sogenannte Kotstuhl (“sedes stercorata” bzw. “stercoraria”). Von den Kardinälen feierlich auf diesen “Drecksessel” gesetzt, sollte der Demutsritus den Papst daran erinnern, dass auch er sterben muss und zu “stinkender Verwesungssubstanz – letztlich eben zu Kot und Staub wird”, erklärt Reinhardt die Bedeutung der Zeremonie.
Seit der als “heiliger Satan” bezeichnete Papst Gregor VII. einen Kaiser abgesetzt und die Macht des Papstamtes in schwindelerregende Höhen gesteigert hatte, ging unter den Kardinälen die Angst um. Der päpstlichen Variante des Cäsarenwahnsinns musste durch Demutsriten Einhalt geboten werden. Die Selbstüberschätzung und der Größenwahn des Papstes, die gleichzeitig die Macht der Kardinäle schmälerten, waren ihnen unheimlich geworden.

Der in der Basilica di San Giovanni in Laterano befindliche “sedes stercorata”. Die mit bunter Kosmatenarbeit verzierten Säulen mitsamt dem Sockel gehören vermutlich nicht zum Stuhl.
Sesselrücken – Latrine oder Badestuhl
Den ursprünglichen Kotsessel gibt es laut Reinhardt höchstwahrscheinlich nicht mehr, oder falls ja, werde er nicht mehr gezeigt. Der historischen Beschreibung nach müsste er einen Sockel mit Reliefs haben, der Schlangen, Löwen und Ungeheuer wie Drachen zeigt. Der Stuhl, der im Lateran als “sedes stercorata” ausgestellt wird, sei jedenfalls “definitiv nicht der ursprüngliche Kotstuhl”, ist sich Reinhardt sicher.
Ein realistischerer Kandidat für den päpstlichen Exkremententhron befindet sich im Pariser Louvre. Napoleon Bonaparte ließ ihn auf seinem Italienfeldzug als Beute mitgehen, da er ihn für einen wertvollen Kaiserthron hielt. Ein identisches Gegenstück befindet sich in den Vatikanischen Museen. Die aus wertvollem rotem Marmor, “rosso antico” genannt, gemeißelten Stühle verfügen beide über die verdächtige Latrinenöffnung, deren historische Beispiele sich zumindest bis ins Alte Ägypten zurückverfolgen lassen. Manche Forscher gehen immer noch davon aus, dass es sich dabei nicht um Latrinen, sondern um antike Badestühle aus römischen Thermenanlagen handelt. Aus der schlüsselförmigen Öffnung in der Sitzplatte soll angeblich Dampf aufgestiegen sein. Andere Forscher hingegen halten die Sessel für römische Edelaborte und nehmen dabei Bezug auf einen Stuhl, der im British Museum zu sehen ist.

Bis heute streiten sich die Experten über die tatsächliche Funktion der Stühle. Egal ob die mittelalterlichen Päpste auf ehemaligen römischen Latrinen oder Thermenstühlen Platz genommen haben, sie beflügeln seit jeher die Vorstellungskraft der Menschen.
Über den Autor: Volker Reinhardt
Volker Reinhardt (geboren 1954 in Rendsburg, BRD) ist seit 1992 Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. 2013 wurde er mit dem Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung, 2020 mit dem Kythera-Kultur-Preis der Kythera-Kultur-Stiftung ausgezeichnet. Er ist Autor zahlreicher Bücher, vor allem zur Geschichte Italiens. Zuletzt erschienen: “Voltaire. Die Abenteuer der Freiheit. Eine Biographie”. München 2022. Foto: Reinhardt
