Immer mehr Kirchen müssen umgenutzt werden. Die Bauaufgabe verlangt nicht nur architektonische Sensibilität, sondern auch soziale und psychologische.
Es muss etwas passieren: Würden die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland alle ihre Bauten behalten, müssten sie in ein paar Jahren ihre kompletten Einnahmen für deren Instandhaltung ausgeben. Für das eigentliche Gemeindeleben wäre dann kein Geld mehr da. An vielen Orten stützen sich schon jetzt Bereiche wie Jugendarbeit oder Kirchenmusik nur auf ehrenamtliche Mitarbeiter, denn Stellen einzusparen ist immer noch leichter als Kirchen loszuwerden. Anfang 2006 verkündete das katholische Bistum Essen, dass jede vierte Kirche zur Diskussion steht. Anderswo sieht es nicht viel besser aus. Die evangelische Kirche dementiert dagegen, dass auch sie ein Viertel ihrer Kirchen aufgeben müsste. Sie sieht die notwendigen Einnahmen eher im Verkauf ihrer anderen Gebäude.
Was darf aus einer Kirche werden? Ein Beispiel wie die St.-Raphael- Kirche von Rudolf Schwarz in Berlin-Gatow, die erst zum Supermarkt umgenutzt werden sollte und dann kurz vor der Einstufung als Baudenkmal abgerissen wurde, möchte niemand erneut erleben. Die evangelischen Landeskirchen und katholische Bistümer haben dafür in den letzten Jahren Leitlinien formuliert. Danach geht Umnutzung vor Verkauf, eine verträgliche, kirchennahe Fremdnutzung vor eine wirtschaftliche – aber auch Abriss vor Imageschaden. Die Lösung muss für jede Kirche individuell ermittelt werden.
Fünf interessante Nutzungs-Beispiele von Kirchen stelle ich euch hier einmal vor:
Umbau der “Bonifatiuskirche” in Münster zum Verlagsgebäude
Grundidee: Die Kirche bleibt innen wie außen so weit als möglich unangetastet, es wurde eine Art “Haus im Haus” geschaffen – frei hineingestellt in das Kirchenschiff, das lediglich als Klimahülle dient (wie z.B. die Akademie Mont Cenis in Herne). Der Konferenzraum schwebt als “Wolke” über dem Veranstaltungsbereich. Die Erdgeschossebene schwebt über dem Kirchenboden und gleicht auf diese Art das vorhandene Gefälle aus. Markant für die ehemalige Kirche waren die zahllosen kleinen quadratischen Fensteröffnungen, die ihren Innenraum belichteten. Aus diesen ließen die Architekten das Glas entfernen, sicherten sie lediglich mit Vogelschutzgittern und schufen damit einen „frei bewitterten“ Raum. Wo immer möglich, wurde auf den drei Etagen mit Glas gearbeitet, damit die Einbauten transparent bleiben.
Umbau der Kirche “Hl. Familie” in Osnabrück zum Kolumbarium
Ausgangspunkt ist der Lichtkegel im jetzigen Altarraum, unter dem mittig eine höhere Wand gesetzt wurde. Vor der Wand, also in der Mitte der Kirche, entstand der neue Feierraum. Hinter der Wand beginnt ein etwa 4 Meter breiter Gang, in dessen Mitte und an dessen Seiten die Urnenplätze sind. Die Urnen werden in die Wände gestellt. Damit orientiert sich der Entwurf auch sehr stark an der ursprünglichen Form von Kolumbarien. Verschlossen werden die Plätze nach dem Entwurf mit einer bronzenen Tafel. Da die Wand zum Feierraum hin durchbrochen ist, wird ein Verwobensein des Feierraumes mit dem Kolumbariumgang geschaffen.
Das ist der entscheidende Punkt: Feierraum und Kolumbariumgang werden miteinander verknüpft. Tod und Leben, Erde und Himmel werden miteinander verwoben. Daher erklärt sich auch das biblische Wort, dass der Architekt über den Entwurf setzte: „Und wie wir das Abbild des Erdhaften trugen, werden wir auch das Abbild des Himmlischen tragen” (1 Kor 15,49).
Umbau der Kirche “St. Mariä Empfängnis” zum Gemeindezentrum
Die vorher schwierige Situation eines viel zu großen, ungünstig geschnittenen und gestalterisch nicht besonders qualitätvollen Kirchengebäudes konnte mit einer überzeugenden Planung als große Chance genutzt werden. Die sozialen und kulturellen Nutzungen des aufgegebenen Pfarrzentrums zusammen mit Caritas-Sozialstation, Pfarrsaal, Gruppenräumen, Küche, Sanitäranlagen, öffentlicher Bücherei, Kleiderkammer, Pfarrbüro und Archiv wurden nun auf drei Ebenen mit in die vorhandene Gebäudehülle eingebaut. Im Bereich der historischen Pfarrkirche wurde der südliche Teil des Gebäudes für die sakrale Kirchennutzung unter Öffnung und Einbeziehung des alten Chores neugestaltet und in der Größe der heutigen Gemeindesituation angepasst. Die vorher geschlossenen Wände des Gebäudes wurden an mehreren Stellen aufgeschnitten, wodurch Verbindungen der neuen Nutzungen mit dem Ortskern entstanden sind.
Umbau der “St. Sebastian-Kirche” in Münster zu einem Kindergarten
Obwohl der Erhalt teurer war als ein Neubau, wurde dee elliptische Ziegelbau mit seinem geschwungenen Dach und den kleinen, quadratischen Fenstern als vertrauter Identifikationspunkt des Quartiers zu erhalten. Im ersten Bauabschnitt wurde das Gebäude saniert und im Inneren die Kindertagesstätte für 95 Kinder als Haus im Haus untergebracht. Dazu wurde zunächst der Boden des Kirchenschiffs einen Meter tiefer gelegt, dann die Kindertagesstätte als ein die gesamte Grundfläche ausfüllender Flachbau hineingesetzt. Der abgetreppte, teilweise zweigeschossige Einbau beherbergt im unteren Geschoss drei, im oberen zwei Gruppenräume. Seine Flachdächer bilden nun den neuen Boden der immer noch hohen, elliptischen Halle. Sie dient jetzt als Allwetter-Spieldeck – das zwar innerhalb der Kirchenmauern liegt, klimatisch aber als Außenfläche ausgebildet ist.
Umbau der denkmalgeschützten “Herz-Jesu-Kirche” in Mönchengladbach zu einem Wohnhaus
Der nachstehende Film zeigt im Zeitraffer die 15-monatige Umbauphase. In dieser Zeit entstanden 23 Wohneinheiten mit insgesamt mehr als 1.500 qm Wohnfläche. Einen gesamten Überblick, wie viele Kirchen in Deutschland zum Wohnraum umgewandelt werden, gibt es nicht. Scheinbar sind das Einzelphänomene. Bekannt sind mir die Lutherkirche Berlin-Spandau, in der etwa neun Sozialwohnungen im einstigen Kirchenschiff entstanden. Oder in Rostock: Dort gibt es Wohnungen im Dach der Nikolaikirche. Oder die Wuppertaler Kreuzkirche, die nun ein Wohnhaus mit 15 Wohnungen als Projekt für Alleinerziehende und ihren Kindern ist.
Gute Erfahrungen haben Kirchengemeinden in den vergangenen Jahren mit der Vergabe von Erbbaurechten, der Vermietung oder dem Verkauf von Kirchen an andere christliche Religionsgemeinschaften gemacht. Beispiele sind die Lukaskirche im Kirchenkreis Bielefeld (Verkauf an die Griechisch-Orthodoxe Kirche), die Lukaskirche im Kirchenkreis Gütersloh (Verkauf an die Aramäische Gemeinde) oder die Markuskirche in Sodingen (Kirchenkreis Herne), die an die Neukirchener Mission verkauft wurde. Aber auch als Kultureinrichtungen lassen sich Kirchen nutzen: Die Soester Brunnsteinkapelle ist heute ein Künstleratelier; in Hagen wird ein Teilbereich der Lutherkirche für Kulturveranstaltungen vermietet. Die zurzeit wohl ungewöhnlichste Umnutzung von entwidmeten Kirchen gibt es in Bielefeld: Dort wurde die ehemalige Martinikirche in ein Restaurant umgebaut. Die ehemalige Paul-Gerhardt-Kirche ist seit mehr als 10 Jahren die Synagoge »Beit Tikwa« der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld.
Menschen machen sich oft erst bei der drohenden Aufgabe der Kirche Gedanken über ihre eigene Beziehung zu diesem Raum. Dr. Birgit Gropp vom Projektbüro Kunst und Buch in Münster empfiehlt, in solchen Momenten könne man über neue Religiosität und Spiritualität diskutieren. Man könne sich auch gegen Investoren und Bauherrn schützen, die das religiöse Erbe vor allem als Immobilienprofit sehen. Sie appelliert, mit Vorsicht und Gefühl vorzugehen, was in diesem Bereich angemessen ist und was nicht. Wie nachfolgendes Beispiel: Wer dieser Tage in Kaiserslautern auf Wohnungssuche ist, findet eine neuapostolische Kirche aus dem Jahr 1984 zum Kauf auf dem Immobilienmarkt: Sechs Zimmer, 350 Quadratmeter für 148.000 Euro und Zentralheizung.
In der nächsten Folge:
Von einem Haus auf dem Kopf und riesiegen Reißverschlüssen
