Vor 70 Jahren fuhren die ersten Nachkriegstouristen nach Italien – aber wie?
Ein Italienaufenthalt, das erschien im Frühjahr 1949 so abwegig wie eine Reise zum Mond. Und doch hing da auf einmal am schwarzen Brett der Uni München das Angebot „Studienreise durch Italien, zwei Wochen mit dem Fahrrad, 120 DM alles inklusive.“Die Kunde machte schnell die Runde. 1.147 Studenten bewarben sich, doch nur 15 durften mit. Die Auswahlkriterien hatten es in sich. Italiens Sonnenküsten waren nur für den erreichbar, der sich als ‚charakterlich einwandfrei, entnazifiziert, fachlich qualifiziert und würdig‘ erwies und im übrigen Besitzer eines Fahrrades nebst Flickzeug war.

Fahrrad und Würde waren nur Vorgeplänkel. Der Papierkrieg folgte. Provisorische Reisepässe mussten organisiert werden, Visabestätigungen, Einladungen, Aufnahmegenehmigungen und der Nachweis, dass man dem Gastland nicht auf der Tasche liegen würde.
Erst dann ging es los: Den dicken Rucksack auf dem Gepäckträger, die Aktentasche an der Querstange gehängt und um den Hals den wertvollsten Besitz des reisenden Radlers: einen Ersatzschlauch.
Mit dem Fahrrad nach Italien
Benvenuti! Die Italiener staunten nicht schlecht über die ersten deutschen Nachkriegstouristen, die sich – im Gegensatz zu ihren Vorfahren – sicher fühlen durften. Der ärmliche Aufzug der Radler schütze sie sogar in Neapel vor Dieben.

Die Fahrrad-Expedition galt vor sieben Jahrzehnten als Beinahe-Weltreise, eine Pioniertat, ungläubig bestaunt in einer Branche, die ebenso brach lag wie das gesamte Nachkriegs-Deutschland. Man reiste – wenn überhaupt – per Bahn; hautnah im „Kniescheiben-Express“ und zwar in der Kriechspur. In 22 Stunden von Dortmund nach Ruhpolding, damals noch ein schlichtes Kuhdorf im Chiemgau.
50 Reisende nach Mallorca
Es wurde auf Anhieb zum Traumziel der Trümmerdeutschen, nachdem es in einem schmalen, dreiseitigen Faltprospekt auftauchte. Erst als die Amerikaner am 1. Februar 1951 den deutschen Behörden die Pass-Hoheit zurückgaben, entwickelte sich ein Urlaubsspiel ohne Grenzen. Und drei Jahre später wurde die entscheidende Entdeckung im deutschen Nachkriegstourismus gemacht.

Auf dem Kölner Hauptbahnhof stiegen im Sommer 1954 zwanzig Tigges-Gäste in den Zug. Sie hatten für 466 Mark (nach heutigem Wert 233 Euro) eine 16-tägige Reise auf eine kaum bekannte Insel gebucht: Mallorca.
Einige kühne Kunden hatten sich sogar – nach dem die Bundesrepublik die Lufthoheit zurückerhalten hatte – für eine Reise zu den Kanarischen Inseln entscheiden. Hin- und Rückflug dauerten vier Tage, wenn man Pech hatte auch sechs. Im halbzerstörten Flughafen München-Riem, dessen Abfertigungshalle nur mit einem Holztisch und einer ausgeleierten Waage möbliert war, wartete ein einsamer kleiner Bomber. Innenausstattung: Stahlrohrsitze mit Segeltuch. Mit Spucktüten vorm Gesicht überflog man Frankreich und Spanien.

„Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hat die Mittel“, dichtete deshalb frei nach Wilhelm Busch ein gewisser Wilhelm Höltl, der aus dem Krieg einen klapprigen Holzgas-Omnibus herüber gerettet hatte und damit den Linienverkehr zwischen Rappenhof und Passau aufrecht erhielt. Wenn das Veteranen-Vehikel mit seinen 16 Plätzen voll besetzt war, schaffte es die Steigungen nicht mehr. Doch im Schieben war damals jeder geübt.
Tja, verrückt. Heute scheint kein Ziel unerreichbar. Klettern gar auf den Mount Everest (ohne Fahrrad aber…)