Unsere Großeltern hätten in ihrer Jugendzeit wahrscheinlich kaum verstanden, was der Begriff denn bedeutet. Heute nutzen wir ihn umfassend als Synonym für alle Formen des Zeitdrucks und der erhöhten Arbeitsbelastung. Medizinisch gesehen, ist Stress jedoch etwas anderes: Eigentlich ist Stress ein Fluchtreflex, hormonell ausgelöst, zur plötzlichen Aktivierung und Alarmierung von Geist und Körper in Gefahrensituationen.
Wo liegen die Ursachen und welche Strategien helfen gegen Stress?
Mitte des 20. Jahrhunderts definierte der Mediziner Hans Selye die von ihm untersuchten Anpassungsreaktionen des menschlichen Körpers auf Belastungen als Stress. Der gebürtige Wiener entlehnte den Begriff aus der Welt der Physik, wo er bis dahin „mechanische Spannung“ bedeutet hatte. Selye trug ihn durch seine Forschung und Vortragsreisen in nahezu alle Sprachen der Gegenwart: „der Stress“, „el stress“, „le stress“. Auch seine medizinischen Befunde sind inzwischen Allgemeingut.

Stress ist notwendiges Lebenselixier und Ursache für Krankheiten in einem. In gleicher Art, wie wir Muskeln und Motorik trainieren müssen, um Laufen zu lernen, oder Kinderkrankheiten unser Immunsystem stärken helfen, benötigen wir auch psychische Belastungen. Nur so können wir uns einer Umwelt anpassen, die sich ständig verändert und neue Fähigkeiten gewinnen.
Die Aufregung vor einem Vortrag, die feuchten Hände vor einer Prüfung – all das gehört zur „Stressantwort“ des Körpers auf das, was unser Gehirn als Herausforderung oder als Gefahrensituation einschätzt.
Wie funktioniert das genau?

Die Nervenstränge der Sinnesorgane laufen im Gehirn im Thalamus zusammen. Wird eine Gefahr gemeldet, aktiviert der Thalamus das Angstzentrum, den Mandelkern im Gehirn. Auch der blaue Kern wird aktiviert. Dort wird die Stressreaktion ausgelöst: innerhalb weniger Sekundenbruchteile laufen unzählige Prozesse ab, bis durch Hormonausschüttungen im Hypothalcinius und die Aktivierung der Nervenbahnen die Informationen in alle Körperregionen getragen werden. Ein Ablaufschema, das Millionen Jahre alt ist. Lange vor Erfindung des Terminkalenders und des Vorgesetztengesprächs waren unsere Vorfahren in der Steinzeit denselben biochemischen Prozessen ausgesetzt. Standen sie als Jäger und Sammler einer Gefahr gegenüber, gab es nur zwei Möglichkeiten: „fight or flight“, wie die Mediziner sagen – durch Hormonausschüttung hellwach und reflexartig bereit zur Flucht oder zum Kampf.
Doch was machen wir heute?
Keiner kann sich erlauben, aus dem Büro zu fliehen, wenn der Chef mit weiterer Arbeit vor dem Schreibtisch steht, oder den Computer zu attackieren, wenn wieder etwas nicht geklappt hat. Umso erschreckender, dass 28 Prozent der Beschäftigten in der EU regelmäßig gestresst sind, so eine Erhebung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OSHA). Stress kostet Geld, viel Geld. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) führten psychische Belastungen im Jahr 2011 zu Arztkosten von umgerechnet elf Milliarden Euro und einem Produktionsausfall von 13 Milliarden Euro.

Auch wenn heute noch längst nicht alle medizinischen Aspekte der Stressantwort erforscht sind, gelten ausreichend Bewegung, ausgewogene Ernährung und regelmäßige Entspannung als notwendige Gegenstrategien. Grundsätzlich sollte man erst einmal versuchen, die Ursachen für den Stress zu ergründen. Vielleicht kann man sie ganz einfach ausschalten, indem man sich doch nicht alles so zu Herzen nimmt.
Oft hilft es schon, sich einfach nur zurückzulehnen, die Augen zu schließen und zwei bis drei Minuten bewusst tief ein- und auszuatmen. Regelmäßige Spaziergänge bewirken ein Übriges. Auch Sport baut Stress ab und hilft zu entspannen. Neben klassischen Ausdauer-Sportarten wie Laufen, Schwimmen oder Radfahren haben in den vergangenen Jahren im Zuge des Wellness-Trends uralte asiatische Entspannungstechniken wie Qi Gong oder Tai Chi rasanten Zulauf erfahren.Aber auch Klassiker wie Yoga helfen, Körper und Geist in Einklang zu bringen.
Was aber soll man machen, wenn man mit der Bewegung auf Kriegsfuß steht?
Oder wenn einfach die Zeit fehlt, eine Sportart regelmäßig auszuüben? Natürlich sollte man versuchen, sich diese Zeit zu nehmen. Doch der Mangel daran ist gerade einer der typischen Stress-Auslöser. Gönnen Sie sich einfach einmal Ruhe. Das ist kein Zeichen von Schwäche. Unser Körper braucht regelmäßig seine Ruhephasen. Nur dann kann er auch Leistungsbereitschaft zeigen, wenn diese von ihm gefordert wird.

Was tun bei Stress?
- Strukturieren Sie Ihre Arbeit. Zerlegen Sie große Projekte in Einzelschritte und legen Sie für jede Etappe eine realistische Zeitspanne inklusive Pausen fest.
- Machen Sie Pausen. Hetzen Sie nicht von Termin zu Termin. Schon ein paar Minuten Pause helfen, eine Sache bewusst abzuhaken, bevor es ins nächste Meeting geht.
- Sorgen Sie für Entspannung. Lässt es die Arbeit zu, kann die Mittagspause für progressive Muskelentspannung oder autogenes Training genutzt werden. Lästert der Chef oder die Kollegen, genügen zehn Minuten des Feierabends und der Körper kommt zur Ruhe.
- Treiben Sie Sport. Jogging, Walking oder Schwimmen helfen, Stress abzubauen. Dreimal pro Woche 30 Minuten sind optimal. Höchstleistung ist aber nicht gefragt
- Oft stresst der Arbeitsablauf selbst. Sprechen Sie Kollegen – wenn möglich – den Chef darauf an. Gemeinsam und mithilfe des Betriebsarztes oder eines Beraters kann der Arbeitsplatz stressfreier gestaltet werden. Oft hilft schon eine Kleinigkeit